„Berlin braucht einen Politikwechsel für Integration anstatt rot-schwarzer Masterpläne“

Udo Wolf

Und dann sagen Sie, dieser Masterplan sei ein Meilenstein, ein Papier, um das uns andere Bundesländer beneiden. Machen Sie sich mal nicht lächerlich! Nach dem, was dieser Senat seit 2012 in der Integrationspolitik versäumt hat, nach dem katastrophalen Missmanagement der letzten zwei Jahre löst Ihr Papier nirgendwo Neid aus.

aus dem Wortprotokoll

82. Sitzung
Aktuelle Stunde

Wir kommen zur

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Berlin braucht einen Politikwechsel für Integration anstatt rot-schwarzer Masterpläne“

(auf Antrag der Piratenfraktion)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann.

Präsident Ralf Wieland:

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Herr Udo Wolf das Wort. – Bitte schön!

Udo Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Dilek Kolat! Ihr Koalitionspartner hat gerade eben Ihren Masterplan als ein Dokument von Abschottung, Abschiebung und Stigmatisierung interpretiert.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Wenn Sie genau zugehört haben, müssen Sie das zugeben. Und dann sagen Sie, dieser Masterplan sei ein Meilenstein, ein Papier, um das uns andere Bundesländer beneiden. Machen Sie sich mal nicht lächerlich! Nach dem, was dieser Senat seit 2012 in der Integrationspolitik versäumt hat, nach dem katastrophalen Missmanagement der letzten zwei Jahre, löst Ihr Papier nirgendwo Neid aus.

Mehr Zustimmung, Herr Regierender Bürgermeister, hatte dagegen Ihre Wutrede vom 12. November 2015 bekommen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Da haben Sie – völlig zu Recht – Ihren eigenen Senat, insbesondere die Senatoren Czaja und Henkel, wegen ihrer Abschieberhetorik und de facto Arbeitsverweigerung der Berliner CDU öffentlich zusammengefaltet. Aber nur 14 Tage später war klar, mit dieser Koalition geht bei diesem Thema gar nichts mehr. Da hat Henkel 14 Tage später, in der Aktuellen Stunde – auch für den Senat – wieder das komplette Gegenteil erzählt: Abschiebung, Abschiebung, Abschiebung. – Da hätten Sie den CDU-Senatoren einfach mal die Entlassungspapiere übergeben müssen, aber das haben Sie nicht gemacht.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Sie haben das Flüchtlingsthema aber auch nicht, wie hier behauptet, zur Chefsache gemacht. Stattdessen haben Sie zu einer seltsamen Form des Outsourcings gegriffen. Sie haben McKinsey/Diwell beauftragt, einen Masterplan zu erarbeiten. Mir ist bis heute nicht klar, warum. Das Land Berlin hat eine Integrationssenatorin mit einer Verwaltung, die eigentlich Erfahrung mit der Erarbeitung von Integrationskonzepten hat. Unter Rot-Rot wurden dort zwei ressortübergreifende Integrationskonzepte erarbeitet, die eine vielfach größere Zielgruppe hatten als etwa 50 000 Flüchtlinge, um die es jetzt geht.

Senatorin Kolat war offensichtlich selbst überrascht und hat immer wieder erklärt, sie brauche McKinsey nicht. Allerdings ist uns auch von 2012 bis Januar 2016 keine Initiative aus dem Hause Kolat bekannt, die der verheerenden desintegrativen Erstaufnahmepolitik des Herrn Czaja, der Obstruktionspolitik des Innensenators oder diesem Jeder-für-sich-und alle-gegen-alle im Senat fachlich irgendetwas Konzeptionelles entgegengesetzt hätte.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Über zwei Jahre, nachdem Klaus Wowereit in einer Regierungserklärung angekündigt hat: Es werden mehr Flüchtlinge kommen; wir müssen Vorsorge treffen. –, gibt es jetzt ein Papier, das ein Masterplan sein soll. Vier Jahre nach den Lampedusa-Flüchtlingen auf dem Oranienplatz. Diesem Senat kann man beim Laufen die Schuhe besohlen!

[Oliver Friederici (CDU): Ha, ha, ha!]

Und auch typisch: Während die SPD noch von Willkommenskultur redet, freuen sich Czaja und Henkel und auch Herr Dregger via Presseerklärung über steigende Abschiebungs- und Rückkehrerzahlen und über mehr Geld für Sammelrückführungen. Und wie im Kapitel Sicherheit diskriminierende und stigmatisierende Fälle konstruiert werden, die in der Tat geeignet wären – um hier den Bundesinnenminister zu zitieren –, die Bevölkerung zu verunsichern, das ist nicht nur sicherheitspolitisch unseriös, es ist auch Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten. – Liebe Sozialdemokraten! Ich verstehe nicht, warum ihr so etwas mitmacht!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN –
Beifall von Notker Schweikhardt (GRÜNE)]

Über den Masterplan hat es angeblich einen umfassenden – und jetzt auch noch transparenten – Dialogprozess mit den Akteurinnen und Akteuren dieser Stadt gegeben. Wie kommt es dann, dass sowohl die Art und Weise des Prozesses als auch die Qualität des Papiers von vielen Initiativen und Wohlfahrtsverbänden kritisiert wird? – Ganz einfach: Da wurde in drei Monaten etwas zusammengeschrieben, was vier Jahre lang nicht seriös bearbeitet wurde. Die Länge von 84 Seiten kann nicht darüber wegtäuschen: Der Masterplan ist in weiten Teilen eine oft unkonkrete Auflistung von Bestehendem und Ankündigungen, ohne wirkliche Umsetzungsstrategien.

Trotz rückläufiger Flüchtlingszahlen, über die sich angesichts der Bilder von Idomeni nur schlimme Zyniker freuen können, bekommen Geflüchtete in Berlin immer noch nicht rechtzeitig ihre Leistungen. Viele Betreiber von Flüchtlingsunterkünften haben immer noch keine Verträge. Es gibt Ankündigungen, die Turnhallen freizuziehen, aber widersprüchliche Aussagen, bis wann. Gleichzeitig werden Hostels freigezogen, ohne dass ein nachhaltiges Umzugskonzept bekannt wäre. Deshalb werden nach wie vor mehr oder minder wahllos Notunterkünfte wie Hangars oder auch mal gar keine Unterkünfte zugewiesen. Wo es einen Plan bräuchte, da herrscht nach wie vor Chaos.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Lieber Raed Saleh! Wir waren zu rot-roten Zeiten eine kleine Weile gleichzeitig integrationspolitische Sprecher unserer Fraktionen. Wir wissen beide, dass gelingende Integration ganz wesentlich davon abhängt, wie Unterbringung, Beschulung, Qualifizierung und Zugang zum Arbeitsmarkt von Anfang an, aber auch eine elementare Willkommenskultur ganz praktisch organisiert werden. Aber guckt man sich zum Beispiel den wortreichen „Dance-Mix“ im Kapitel Unterbringung und Wohnraum genau an, dann stellt man fest: Die Praxis, weiter in erster Linie auf integrationsverhindernde riesige Not- und Massenunterkünfte zu setzen, wird fortgeschrieben. Das ist absurd!

Wenn der Senat schon so viel Geld in die Hand nimmt, um Containersiedlungen und MUFs mit Gemeinschaftsduschen zu errichten, warum arbeiten Sie nicht endlich an der Ertüchtigung von Bestandsimmobilien? Warum bauen Sie nicht gleich Wohnungen? Fragen Sie Architekten und Bauexperten: Das wäre nicht nur ökonomischer, es wäre auch anständig den Flüchtlingen gegenüber.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Sie selbst sagen, wie wichtig Arbeit für die Integration ist. Nur ist in Ihrem Papier auf 13 Seiten wenig Neues. Wie im ganzen Text: Copy and paste – schon bestehende Maßnahmen, eine Menge Wünsche, Sachen aneinander gereiht, ohne dass dabei eine wirklich auf die Problemlage abgestimmte neue Herangehensweise erkennbar wäre. Eine arbeitsmarktpolitische Strategie, die Flüchtlinge und Langzeiterwerbslose in gute Arbeit bringt, gibt es nicht, auch kein Beschäftigungsprogramm, das mit öffentlicher Auftragsvergabe kombiniert wird, stattdessen gibt es nur wieder Ein-Euro-Jobs, und die finden im Wesentlichen in den Unterkünften statt, sind also alles andere als integrativ. Das ist bitter und ernüchternd.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Nicht alles – und das liegt am Copy-and-paste-Verfahren –, was im Masterplan steht, ist falsch. Aber das Grundproblem ist, dass sich dieser Senat und damit dieser Plan nicht entscheiden kann, was er will – offensiv Integration und Teilhabe fördern oder abschrecken und abschieben, ob er Flüchtlinge und Zuwanderung als Bereicherung und Chance begreift oder als Krise, Bedrohung und Belastung. Deshalb ist es eben kein Masterplan, der sich der Aufgabe stellt, etwas zu schaffen, und Wege formuliert, wie etwas zu schaffen ist, sondern es ist ein Papier einer Regierung, in der einfach nichts zusammenpasst.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Flüchtlinge willkommen zu heißen und aufzunehmen, ist eine zutiefst humanistische Haltung. Das vernünftig zu organisieren, ist kein Hexenwerk. Man muss allerdings auch in einer Regierung nicht nur am gleichen Strang ziehen, sondern auch in dieselbe Richtung.

[Franziska Becker (SPD): Frechheit!]

Ich bitte Sie: 50 000 Geflüchtete sind im vergangenen Jahr in Berlin registriert worden. Das sind weniger Menschen als Besucher beim Pokalfinale im Olympiastadion. Wer zulässt, dass aus einer solchen überschaubaren Herausforderung eine Überforderung oder gar eine Krise staatlichen Handelns wird, muss sich nicht über Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten wundern.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ein Blick nach Österreich, wo wir über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen erst einmal erleichtert, aber keinesfalls beruhigt sein dürfen, zeigt: Rechtspopulisten bekämpft man nicht durch die Erfüllung ihrer menschenfeindlichen Forderungen nach Abschottung und Abschiebung, den kann man nur das Wasser abgraben, indem man für Bedingungen sorgt, die die Integration von Flüchtlingen und Langzeiterwerbslosen ermöglicht und fördert. Und bei allem Dank an die Ehrenamtlichen, die für den Berliner Senat bisher in Ersatzleistung gegangen sind: Das ist zuallererst die Aufgabe des Staates!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Dieser vorliegende Masterplan kommt vier, mindestens aber zwei Jahre zu spät, und er kann sich nicht entscheiden, wo er hinwill. Damit fällt er hinter die Regierungserklärung von Michael Müller vom November 2015 zurück. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik braucht aber außer einer Haltung auch eine Richtung. – Es wird Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie sich für eine Richtung entscheiden. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank, Herr Kollege! –

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