Integration durch Arbeit und Ausbildung

Udo Wolf

Das zweite Integrationskonzept ist konkreter als das erste und schließt einen Antrag zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger ein

17. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode zur Weiterentwicklung des Integrationskonzepts für Berlin

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Integrationskonzept II ist ein Programm und Arbeitspapier des Berliner Senats und damit selbstverständlich auch ein Kompromiss

[Özcan Mutlu (Grüne): Aha!]

zwischen Senatsressorts, zwischen politischen Parteien, ein Kompromiss zwischen finanziell Wünschenswertem und Machbaren, und an manchen Stellen ist alles eingeschnürt in bundesgesetzliche Vorgaben. Im Vergleich zum Integrationskonzept I ist das neue Papier um ein Vielfaches konkreter und um einiges ambitionierter ge-worden. Das zeigt, die Integrationssenatorin, der Integrationsbeauftragte, den ich im Namen meiner Fraktion ganz herzlich hier im Haus begrüße,

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

der gesamte Senat hat die breite gesellschaftliche Debatte über das Integrationskonzept I aufgenommen. Es werden konkrete Ziele, Vorhaben und Leitprojekte für die Legislaturperiode entwickelt. Ein besonderer Schwerpunkt ist auf Integration durch Arbeit und Ausbildung gelegt worden, weitere sind die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und der Regeldienste, Partizipation und eine aktive Antidiskriminierungspolitik. Eine besondere Innovation – und auf Länderebene bislang einmalig – ist die Entwicklung von Indikatoren für eine regelmäßige Berichterstattung. Alles in allem ist das Berliner Integrationskonzept II wohl das bisher beste, was in der Bundesrepublik eine Regierung zum Thema Integration aufgeschrieben hat.

[Beifall bei der Linksfraktion – Özcan Mutlu (Grüne): Werde mal konkreter!]

Weil aber kaum etwas so gut ist, dass es nicht noch verbessert werden kann, wollen wir auch über das Integrationskonzept II eine breite gesellschaftliche Debatte führen und in den Ausschüssen, Herr Kollege Mutlu, selbstverständlich über die konkreten Einzelprojekte diskutieren.

[Özcan Mutlu (Grüne): Da bin ich gespannt!]

Wenn Sie sich das Integrationskonzept II einmal angucken, stellen Sie fest, dass es Telefonbuchumfang hat. Es zeigt, was in der Stadt in der Integrationspolitik gemacht wird,

[Özcan Mutlu (Grüne): Viel Blei!]

und das ist hier innerhalb von fünf Minuten nicht darstellbar.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

In der öffentlichen Debatte müssen wir aber nicht nur über das Integrationskonzept II reden, sondern müssen auch verlorengegangenes Vertrauen bei Menschen mit Migrationshintergrund zurückgewinnen.

[Ramona Pop (Grüne): Nicht nur bei denen, Herr Wolf!]

Wenn die Bundeskanzlerin die Migrantenverbände zur Mitarbeit am nationalen Integrationsplan ruft und gleichzeitig das Zuwanderungsrecht verschärft, muss man sich nicht wundern, dass sich die Menschen getäuscht und unerwünscht fühlen.

[Özcan Mutlu (Grüne): Sie hätten ja im Bundesrat dagegen stimmen können!]

Obwohl Berlin nach einer Studie von Heitmeyer die Stadt mit der geringsten Fremdenfeindlichkeit ist, sind 36,9 Prozent der Berlinerinnen und Berliner der Meinung, in Deutschland lebten zu viele Ausländer; wenn die Arbeitsplätze knapp würden, solle man sie in ihre Heimat schicken. Es sind die stigmatisierenden, zum Teil rassistischen Debatten der vergangenen Jahre, in denen über gescheiterte Integration schwadroniert worden ist, Migranten und Flüchtlinge zu Sündenböcken für alle möglichen Missstände in der Gesellschaft gestempelt wurden, die solche Einstellungsmuster befördern und Migrantinnen und Migranten neben sozialen Problemen in den Schutz ihrer Communities flüchten lassen. Wenn dann etwas Schlimmes in Neukölln oder Kreuzberg passiert, gibt es sofort den Reflex in der öffentlichen Debatte, dass Multikulti gescheitert sei. Das ist gefährlicher Unsinn.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Beifall von Benedikt Lux (Grüne) und Bilkay Öney (Grüne)]

Die multikulturelle Gesellschaft kann gar nicht scheitern, weil sie in Berlin Realität ist. In Berlin leben ca. 470 000 Migrantinnen und Migranten aus 180 Staaten, und ca. 150 000 weitere Zuwanderer haben den deutschen Pass. Die verschiedenen kulturellen Hintergründe mischen sich mit sozialen Unterschieden, religiösen Vorlieben, Subkul-turen und anderem mehr. Selbstverständlich erzeugt soviel Unterschiedlichkeit Reibung und Reibung auch Hitze. Es kommt darauf an, wie man mit dieser Hitze umgeht, ob man die Energie nutzen will und kann oder ob man noch zusätzlich zündelt und dann laut »Feuer« ruft.
Erfolgreiche Integrationspolitik lebt von Respekt, Wertschätzung und einer klaren Antidiskriminierungspolitik.

[Özcan Mutlu (Grüne): Sieht man beim Thema Abschiebung!]

Das ist das Leitmotiv dieses Berliner Integrationskonzepts. Es sind nicht nur die hochqualifizierten Zuwanderer, die diesen Respekt verdienen, es sind die Migrantinnen und Migranten der ersten, zweiten und dritten Generation, die an den Fließbändern gestanden haben und jetzt erwerbslos sind, die ganze Kieze, die von Spekulanten in den 70er und 80er Jahren kaputt gemacht worden sind, zusammen mit Studenten wieder besiedelt und mit den verbliebenen Rentnerinnen und Rentnern wieder lebenswert gemacht haben. Es sind die Flüchtlinge, die vor Krieg und Verfolgung hierher geflüchtet sind und hier eine Heimat gefunden haben. Ihnen allen ist dafür zu danken, dass unsere Stadt heute so attraktiv ist, wie sie ist.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken ist ein gutes Motto für die Berliner Integrationspolitik. Das Vorliegende ist eine sehr gute Arbeitsgrundlage für die Legislaturperiode. Wir werden im Ausschuss vertieft über die einzelnen Aspekte des Konzepts reden.

[Özcan Mutlu (Grüne): Ach so!]

– Herr Mutlu, dann können Sie sich gern als Gast im Ausschuss einbringen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Dann müsste er es ja lesen!]

– Das wäre hilfreich.
Mit dem Antrag zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger stellt die Koalition eine Selbstverpflichtung aus dem Integrationskonzept auch im Abgeordnetenhaus zur Abstimmung. Damit entsprechen wir nicht nur dem Wunsch des Integrationsbeirats, dem ich an dieser Stelle für seine kritische Begleitung, Vor- und Mitarbeit herzlich danke, sondern ich hoffe auch auf eine Mehrheit für gelingende Integrationspolitik in diesem Haus über die Koalition hinaus. Herr Mutlu, dann können Sie sehen, ob wir uns wenigstens inhaltlich einig sind, wenn Sie auch sonst ziemlich neidisch sind auf unsere Erfolge in der Integrationspolitik. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Özcan Mutlu (Grüne): Ha, ha!]