Mehr Beteiligung und direkte Demokratie statt leerer Versprechen - nicht nur bei Olympia

Wir, die Oppositionsfraktionen, mussten vor der Sommerpause die Parlamentsbefassung erzwingen, um wenigstens von Klaus Wowereit zu erfahren, dass Olympia Berlin Milliarden kosten wird und er keine Reform des IOC zur Bedingung erheben würde.

aus dem Wortprotokoll

53. Sitzung
Aktuelle Stunde

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

Mehr Beteiligung und direkte Demokratie statt leerer Versprechen – nicht nur bei Olympia“

(auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)

in Verbindung mit

Zu einer möglichen Olympiabewerbung Berlins für Olympische Sommerspiele 2024 oder 2028

Antrag der Fraktion Die Linke auf Annahme einer Entschließung
Drucksache 17/1849

in Verbindung mit

Olympische Sommerspiele 2024 oder 2028 in Berlin

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU
Drucksache 17/1851

Präsident Ralf Wieland:

– Für die Fraktion Die Linke jetzt Herr Udo Wolf! – Bitte schön!

Udo Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Raed Saleh! Sie wollten heute dem Deutschen Olympischen Sportbund ein breites und starkes Signal geben, Herr Graf!

[Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN –
Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Deshalb wollten Sie mit Teilen der Opposition eine Entschließung einbringen, die der Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele noch einmal so richtig Schwung verleiht. Ich stelle fest: Ihr Antrag wird lediglich von der Koalition eingebracht. Und ich stelle fest, dass die Olympiabegeisterung beim Fraktionsvorsitzenden der stärksten Regierungspartei und dem Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters nicht so weit reicht, dass er diesen Text heute selbst verteidigt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Beifall von Martin Delius (PIRATEN)
und Alexander Spies (PIRATEN)]

Das könnte den DOSB interessieren. Herr Stöß hat sich beim DOSB ja schon unbeliebt gemacht.

[Heiterkeit bei der LINKEN, den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Möglicherweise registrieren DOSB und IOC, dass von den sozialdemokratischen Spitzen in Berlin so richtig nur Klaus Wowereit kämpft.

[Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Er hört aber bekanntlich fast zeitgleich mit der Entscheidung des DOSB auf. Und der Sportsenator macht derweil nach meiner Wahrnehmung das, was er am besten kann – nichts!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN
und den PIRATEN –
Beifall Alexander Spies (PIRATEN)]

Wir, die Oppositionsfraktionen, mussten vor der Sommerpause die Parlamentsbefassung erzwingen, um wenigstens von Klaus Wowereit zu erfahren, dass Olympia Berlin Milliarden kosten wird und er keine Reform des IOC zur Bedingung erheben würde. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, das Parlament zu befassen, und zwar, bevor Sie beim DOSB Ihren Hut in den Ring werfen!

Heute schieben Sie im Rahmen einer Aktuellen Stunde, die dem Titel nach einen anderen Schwerpunkt hat, Ihren Entschließungsantrag zu Olympia nach!

[Torsten Schneider (SPD): Ihren doch auch!]

Dann haben Sie jetzt wenigstens den Anstand und nehmen Sie die Frage ernst, wie man zu einer verbindlichen Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger zu Olympia kommen kann! Was dazu in Ihrem Entschließungsantrag steht, ist wohl ein schlechter Scherz. Nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld haben Sie den Berlinerinnen und Berlinern mehr Beteiligung und Mitbestimmung zu wichtigen Themen in der Stadt versprochen. Für Ihren Entschließungsantrag haben Sie den Floskelgenerator mit Phrasen aus dem großen Buch der guten Absichten gefüttert. Kein belastbarer Satz, wie Sie die Bürgerbeteiligung und eine verbindliche Befragung machen wollen!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Aber das ist inzwischen notorisch. Bei allen wichtigen Fragen in der Stadt kündigen Sie an, machen dann nichts oder sogar das Gegenteil, weil Sie vollständig blockiert sind.

Die CDU hat frühzeitig gesagt, dass sie überhaupt kein Interesse an einer Verfassungsänderung hat. Blöd ist nur, dass der Chef des Landessportbundes schon zu Beginn der Debatte erklärt hat: Olympische Spiele brauchen eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner. Und blöd ist, dass das alle Koalitionspolitiker ohne Kenntnis der Rechtslage gleich nachgeplappert haben. Wir haben es Ihnen von Anfang an gesagt: Wenn Sie in Berlin eine Olympiabewerbung abstimmen lassen wollen, müssen Sie die Verfassung ändern. Und jetzt sondieren Sie, Herr Saleh, wie es heißt, juristische Möglichkeiten für einen bisher in der Berliner Verfassung nicht vorgesehenen Volksentscheid von oben, also unterhalb der Verfassungsänderung. Wegen Olympia die Verfassung austricksen – nicht mit uns!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Ihr Vorschlag, eine gesetzlich unverbindliche Volksbefragung, eine schriftliche, habe ich verstanden, durch Beschluss zu einer verbindlichen zu machen, ist kein Verfahren, das demokratischen Mindeststandards genügt. Macht man es einmal auf diese Art, kann es schnell zur Gewohnheit werden, sich jenseits von Verfassung, Wahl und Abstimmungsgesetz Entscheidungen im Nachhinein und am Parlament vorbei durch geschickt gestellte Umfragen legitimieren zu lassen.

Sie haben mir schon beim letzten Mal die Frage nicht beantworten können, wie solch eine verbindlich unverbindliche Abstimmung denn ablaufen soll. Selbst so simple Dinge wie die Einrichtung von Wahllokalen oder der Versand von Abstimmungsbenachrichtigungen folgen Regeln, aber auch andere Dinge, wie die Frage, welche Informationen und Stellungnahmen beispielsweise an die Bürgerinnen und Bürger verschickt werden. Wenn Sie eine seriöse Abstimmung zu Olympia wollten, dann wäre der korrekte Verfahrensweg: erstens einen Vorschlag zur Verfassungsänderung vorzulegen und per Volksentscheid abstimmen zu lassen und zweitens einen Volksentscheid auf dieser Grundlage durchzuführen. Das bedeutet, es brauchte eine Zweidrittelmehrheit hier im Haus und

[Torsten Schneider (SPD): Was denn noch?]

es brauchte danach noch zwei Volksentscheide. Das sind die demokratischen Spielregeln. Hören Sie endlich damit auf, sich darum herumzudrücken.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich sage es immer wieder und werde auch nicht müde, es zu sagen: Ich bin sportbegeistert, ich treibe selbst Sport. Ich sehe mir gerne Leistungssport an.

[Zuruf von der CDU: Ach nee!]

Ich feiere übrigens auch gern Feste, auch internationale, und finde die olympische Idee gar nicht so übel. Ich habe ein Problem mit der olympischen Praxis.

[Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]

Aber ich höre ja auch in der Selbstkritik der Olympiabefürworter, dass es bei Ihnen auch die eine oder andere Kritik gibt.

Eine Olympiabewerbung unter den gegebenen Bedingungen halte ich aber für falsch. Sie reden über sehr viele schöne Absichten und verharmlosen oder verschweigen die Risiken. Sie schätzen und verschleiern gegen jede Erfahrung die realen Kosten von Olympischen Spielen für das Gemeinwesen nach unten. Es gibt hierzu wissenschaftliche Studien, die Sie nicht bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen. Sie behaupten positive wirtschaftliche, stadtentwicklungspolitische und sportpolitische Effekte. Wenn man den Schleier der Propaganda lüftet und die offiziellen Auswertungen des IOC einer Überprüfung unterzieht, zeigt sich in der Regel das Gegenteil. Sie fahren die Stadt mit Blick auf die Altschulden auf Verschleiß und wollen allein 1 Milliarde Euro für temporäre Anlagen ausgeben. Ich sage es noch einmal: Wir haben leider nur begrenzte Investitionsmittel. Bevor nicht die dringendsten Investitionen in die soziale und bauliche Infrastruktur, also in das, was die Menschen in dieser Stadt dringend brauchen, abgesichert, geplant und durchgesetzt sind, sind Haushaltsrisiken durch Olympia in vielfacher Milliardenhöhe nicht zu verantworten.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Sie schreiben in Ihrer Entschließung: Eine Verschuldung des Landes Berlin durch eine Olympiabewerbung darf es nicht geben. – Nach Lage der Dinge ist das entweder blauäugig, gelogen, oder Sie haben schon neue massive Sparvorschläge für die öffentliche Daseinsvorsorge. Wenn Sie die Praxis der Host-City-Contracts durch das IOC akzeptieren – und daran rüttelt auch die Reformagenda von Herrn Bach nicht –, akzeptieren Sie letztendlich die Übernahme aller Risiken und Mehrkosten durch Berlin. Dieser Senat bekommt die einfachen Pflichtaufgaben nicht auf die Reihe und flüchtet in Visionen. Die Koalition hat heute eine Entschließung eingebracht, in der steht keine harte Konditionierung, viele „soll“, kaum ein „muss“. Wir haben aufgeschrieben, welche Voraussetzungen Senat und IOC mindestens erfüllen müssen, um überhaupt über eine Bewerbung nachzudenken. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, deshalb ist diese Olympiabewerbung auch falsch!

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Dirk Behrendt (GRÜNE)
und Anja Kofbinger (GÜRNE)]

Der Senat hat für seine Olympiabewerbung den Titel gewählt „Die ganze Welt in unserer Stadt“. Ja, Berlin ist die multikulturelle Metropole in Deutschland. Dass Berlin international als weltoffene und tolerante Stadt gilt, ist schön, aber ganz sicher kein Verdienst der CDU.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Und, Hand aufs Herz, Klaus Wowereit: Klingt das als Werbeslogan für eine Olympiabewerbung nicht ein bisschen zynisch, wenn der gleiche Senat, der die Jugend der Welt in die Stadt rufen möchte, nicht imstande ist, für die Menschen, die aus den Krisengebieten der Welt hierher geflüchtet sind, anständige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen?

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Da rede ich jetzt noch gar nicht davon, dass der Sportsenator seinen größten sportlichen Ehrgeiz darin zu entwickeln scheint, die Übereinkunft der Flüchtlinge vom Oranienplatz mit dem Senat zu sabotieren und die Leute aus der Stadt zu kriegen. Solange Sie Flüchtlinge so behandeln, werben Sie nicht mit dem Begriff der Weltoffenheit!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Wir sind nicht bereit, nur für eine Olympiabewerbung die Verfassung zu ändern. Wir sind aber bereit, Ihr allgemeines Bekenntnis zu mehr Demokratie aufzunehmen und über eine Reform der Volksgesetzgebung zu verhandeln. In diesem Zusammenhang lässt sich auch Ihr Problem mit einer verbindlichen Volksabstimmung zu Ihrer Olympiabewerbung lösen – und zwar seriös. Klaus Lederer hat vergangene Woche einen Vorschlag unterbreitet. U.a. geht es dabei um die Einführung eines fakultativen Volksreferendums und eines Parlamentsreferendums als Ausnahme. Ich habe Ihnen dazu geschrieben, Herr Saleh, Herr Graf, Frau Pop, Frau Kapek, Herr Delius und Herr Spies. Denn sollte die Zeit nicht reichen für zwei Volksentscheide – einmal über die Verfassungsänderung und dann auf der Basis der geänderten Verfassung über Olympia –, ließe sich das auch ausnahmsweise an einem Tag lösen. Aber eben nach den Regeln des Abstimmungsgesetzes mit richtigen Wahllokalen unter Aufsicht der Landeswahlleiterin. Das ist ja wohl eine Mindestbedingung für eine seriöse Abstimmung.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Auch Grüne und Piraten haben zum Thema – Frau Kapek hat es angesprochen, ich gehe davon aus, dass die Piraten auch noch etwas dazu sagen werden – Vorschläge zu Volksgesetzgebung und direkte Demokratie im Geschäftsgang. Reden Sie mit uns, wir helfen gern.

[Torsten Schneider (SPD): Das Thema
ist gar nicht mehr bei euch!]

Dann hätte die Olympiadebatte für Berlin vielleicht noch ein Gutes: Es gäbe ein Mehr an direkter Demokratie in der Stadt, und die Berlinerinnen und Berliner hätten eine ernste Chance, diese falsche Olympiabewerbung abzulehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Antje Kapek (GRÜNE)]

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank! –

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