Aktuelle Stunde „100 Tage rot-schwarzer Senat“

Udo Wolf zur Aktuelle Stunde „100 Tage rot-schwarzer Senat“

Aktuelle Stunde  „100 Tage rot-schwarzer Senat“

17. Wahlperiode

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

Für die Fraktion Die Linke hat Herr Abgeordneter Wolf das Wort. – Bitte sehr!

Udo Wolf (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Graf! Sie scheinen ja recht stolz auf Ihr ambitionsloses Herumgemurkel in den letzten 100 Tagen zu sein. Wir können das nicht teilen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wenigstens Ihr Fehlstart ist von historischer Einmaligkeit. Da haben Sie sich wirklich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Nach zwölf Tagen der erste Senatorenrücktritt, darüber geht nichts. Das schafft sonst keine Regierung.

Aber was war dann? – Außer ein paar Ankündigungen ist bisher gar nichts passiert. Und das, was Sie als Ihre Erfolge verkaufen – ehrlich gesagt, Ihr Anteil daran bleibt auch im Dunkeln. Das ist auch noch geklaut, Herr Saleh. 8,50 Euro im Vergabegesetz: Die Verordnung stammt noch von Harald Wolf. Das hätte Herr Wowereit noch vor den Wahlen unterschreiben können. Wo ist aber übrigens Ihr Entwurf für das neue Vergabegesetz? In den 100 Tagen haben wir keinen bekommen.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und
den PIRATEN]

Liebe Frau Pop! Von was könnte Rot-Schwarz jetzt schon so erschöpft sein? – Von anstrengender Arbeit, eigenen besonderen Leistungen wohl kaum, vielleicht vom zu langen Mittagsschläfchen. Der Regierende ist nachsichtig. Die neuen Senatorinnen und Senatoren üben ja noch, und Väterchen lächelt milde.

[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Herr Saleh! Ich finde es gut, dass Sie versuchen wollen, weiterhin linke Politik zu machen. Ich finde es mutig und gut, dass Sie dafür auch mit der Opposition zusammenarbeiten wollen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN,
den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich weiß nicht, wie Klaus Wowereit das findet. Vielleicht überlässt er Ihnen ja demnächst die Richtlinienkompetenz. Er sieht sowieso ein bisschen unlustig aus in letzter Zeit.

Die Berliner CDU macht sowieso alles mit. Sie opfert momentan fast alle ihre Positionen nur fürs Dabeisein. Mir soll es recht sein, wenn die Berliner CDU jetzt für Deeskalation ist, für interkulturelle Öffnung der Polizei, wenn sie für Mindestlohn ist, wenn sie die rot-rote Schulreform und den Ethikunterricht nicht rückabwickeln will.

[Torsten Schneider (SPD): Dann brauche wir Sie
ja nicht mehr!]

– Ich beschwere mich sicher nicht, Herr Schneider, wenn die SPD hilft, das gesamte Berliner Parteienspektrum nach links zu verschieben.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Ich muss aber zugeben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich traue der Sache noch nicht so ganz, und das hat Gründe, Herr Saleh. Zum Beispiel gibt es bis heute keine Reaktion von Ihnen auf unseren Brief zum Wahlalter 16. Grüne, Piraten und wir haben ihn schon im Januar geschrieben. Wir hätten zusammen das Wahlalter 16 beschließen können so wie die Brandenburger. Und so wie die Brandenburger können wir zusammen einen Antrag gegen den Flughafenknast in Schönefeld verabschieden. Die SPD spielt nicht mit. Stattdessen erleben wir immer öfter, wie flegelhaft großkoalitionär sich SPD und CDU zum Teil in Ausschüssen verhalten.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Ob es um die Sitzordnung im Hauptausschuss geht, um kritische Fragen auf der Tagesordnung oder darum, den Sonderausschuss „Wasserverträge“ ordentlich auszustatten, jedes noch so kleine Anliegen der Opposition wird einfach von Ihnen weggestimmt.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist Demokratie!]

Dass Sie im Parlament eine satte Mehrheit haben, ist uns allen bekannt. Dass Sie diese Mehrheit in den parlamentarischen Abläufen so kleinlich einsetzen, um der Opposition die Arbeit zu erschweren, ist kein Ausdruck von großer Souveränität.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Und wenn dann auch noch die inhaltliche Substanz fehlt, ist von so einer Regierungsmehrheit wirklich nicht viel zu erwarten.

[Zurufe von Torsten Schneider (SPD) und
Dr. Manuel Heide (CDU)]

Vor ein paar Tagen fand hier im Haus eine große Mietenveranstaltung statt, und ja, Herr Graf, wir lassen uns auch immer wieder in Haftung nehmen für das, was wir in der Regierungszeit nicht umsetzen konnten. Aber wir haben spätestens seit 2008 erkannt, dass sich der Wohnungsmarkt in der Stadt gravierend verändert, dass die Mieten explodieren und die Verdrängung zunimmt. Ingeborg Junge-Reyer und Klaus Wowereit wollten das nicht wahrhaben bzw. fanden das nicht so schlimm.

[Zuruf von Ramona Pop (GRÜNE)]

Von Senator Müller – viel Spaß in Cannes! – weiß ich, dass er das schon etwas länger etwas anders als seine Vorgängerin sieht und er gerne was ändern möchte. Aber was sind seine Ankündigungen wert? – Bis heute gibt es keinen Plan, wie die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Größenordnungen neu bauen können und wie sie die Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anbieten können. Das kostet Geld. Was macht Herr Nußbaum? Und wo sollen kostengünstige Grundstücke herkommen, wenn der Liegenschaftsfonds den bestmöglichen Preis erzielen muss?

[Zuruf von Dr. Manuel Heide (CDU)]

Frau Pop hat es schon angesprochen: Wo ist der Gesetzentwurf, der die Änderung der Liegenschaftspolitik möglich macht? Was macht Nußbaum? Und, liebe SPD-Kolleginnen und -Kollegen, was sollen wir davon halten, dass der Regierende Bürgermeister weiterhin verkündet, es werde sich nicht verhindern lassen, dass die Mieten steigen, Zwangsumzüge seien auch nicht zu verhindern, es sei ja auch nicht so schlimm, und man möge nicht so tun, als ob es sich bei den Randgebieten um Sibirien handele. Hallo? – Lieber Klaus Wowereit! Es geht nicht darum, ob es gut oder schlecht ist, in einem Bezirk am Stadtrand zu wohnen. Es geht darum, dass jemand von seinem gewohnten Wohnumfeld vertrieben werden soll, weil man die Miete nicht mehr zahlen kann oder man Hartz IV oder Grundsicherung im Alter bekommt und von Zwangsumzug bedroht ist und keine andere Wohnung findet, weil es die in Berlin nicht mehr gibt. Es geht darum, dass 30 000 Wohnungen, von denen noch niemand weiß, wer sie bauen soll, wie teuer sie werden und was die Mieten kosten sollen, noch kein wohnungspolitisches Konzept darstellen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Und, Herr Wowereit, es wäre wohnungs- und sozialpolitisch das Mindeste gewesen, wenigstens endlich das von Carola Bluhm noch erarbeitete Modell zur Anpassung der Kosten der Unterkunft endlich umzusetzen. Das bietet die reale Chance, wenigstens Zwangsumzüge zu verhindern.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das Nichtstun oder dem Vorschlag von Herrn Nußbaum von damals zu folgen, kostet Berlin letztendlich mehr. Keine angemessene Anhebung der Richtwerte für die Kosten der Unterkunft führt zu mehr Zwangsumzügen, treibt den Mietspiegel und die Mietpreise nach oben – aber entschieden haben Sie nichts.

Ebenso wird nichts entschieden, was die S Bahn betrifft. Man lässt entscheiden. Da werden bei der SPD – zum wievielten Mal eigentlich, Herr Saleh? – die Varianten zur S Bahn geprüft. Ja, wie lange denn noch?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Warum setzen Sie sich nicht durch? Wenn Sie – anders als der Senat – keine Teilprivatisierung der S Bahn wollen, bestehen Sie darauf, dass umgehend neue Waggons bestellt werden, dass ein kommunales Unternehmen gegründet wird und die Leistungen direkt vergeben werden. Aber Klaus Wowereit und Frank Henkel haben sich schon längst entschieden, und Ihre Arbeitskreise sind nichts als Folklore!

[Beifall bei der LINKEN]

Anders lässt sich diese Scherznummer nicht interpretieren: Der Regierende trifft sich ein oder zwei Tage vor der Regierungserklärung mit Herrn Grube, der sagt, dass er die S Bahn nicht hergeben möchte, Klaus Wowereit tut, als hätte er vorher nichts davon gewusst, und sagt in seiner Regierungserklärung: Jetzt ist die Teilausschreibung alternativlos. Nein, Herr Saleh, die Teilausschreibung ist nicht alternativlos! Die Inhousevergabe an ein kommunales Unternehmen ist möglich, und dafür werden wir auch weiter kämpfen!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das Thema Rekommunalisierung hat in der neuen Regierung offensichtlich keine große Lobby mehr. Dann müssen halt wieder die Bürgerinnen und Bürger ran. Seit Dienstag läuft das Volksbegehren für ein kommunales Stadtwerk und die Übernahme der Energienetze von der öffentlichen Hand. Da wird ein Weg aufgezeigt, wie Berlin die Energiewende schaffen kann, wie wir zu einer ökologischen und dezentralen Energiepolitik kommen. Alle in der Stadt wissen, dass die Konzessionsverträge für Strom, Gas und Fernwärme 2013 bzw. 2014 auslaufen. Alle wissen, dass schon im April erste Weichenstellungen nötig sind – Sie prüfen, prüfen, prüfen, und Sie entscheiden nichts! Wir sagen Ihnen: Wenn Sie selbst nichts zustande bringen, übernehmen Sie einfach die Gesetzesinitiative des Energietischs!

[Beifall bei der LINKEN]

Meine Damen und Herren! Lieber Raed Saleh! Hier ist der nächste Versuch, Ihren Vorschlag aufzugreifen, gemeinsame Initiativen aus der Mitte des Parlaments zu starten. Sie haben – richtigerweise, wie wir finden – den Mindestlohn auch für öffentlich geförderte Beschäftigung gefordert. Wenn ich die Piraten im Wahlkampf richtig verstanden haben, sehen sie den Mindestlohn zwar nur als Brückentechnologie, aber als solche auch für eine unterstützenswerte Sache an. Lassen Sie uns an einem gemeinsamen Antrag arbeiten, wenn Frau Kolat und der Senat nicht von alleine bereit sind, den Mindestlohn auch für öffentlich geförderte Beschäftigung durchzusetzen – wir helfen gerne!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Aber, lieber Kollege Saleh, bitte geben Sie uns bald Antwort; nicht wie bei dem Wahlalter 16 einfach abtauchen!

Von dem Regierenden Bürgermeister war seit der Berlinale-Eröffnung kaum etwas zu sehen oder zu hören. Kann es sein, lieber Klaus Wowereit, dass Sie seit Ihrer Reise in den Vatikan und Ihren Gesprächen mit Kardinal Woelki ein bisschen so drauf sind: Der liebe Gott wird es schon richten. –?

[Heiterkeit –
Benedikt Lux (GRÜNE): Zu viel Weihrauch!]

Wie es aussieht, ist der Kollege Henkel der Einzige im Senat, der noch überraschen kann. Die außerparlamentarische Opposition von der FDP sieht Sie ja schon fast zum Sozialismus überlaufen. Sie freuen sich über 50 zusätzliche Polizisten, und jetzt setzen Sie sogar die Kennzeichnungspflicht um, die Sie vorher so lautstark bekämpft haben. Schön! Dass Sie daraus allerdings ein bürokratisches Monster machen mussten, mit dreifach rotierenden Namen oder Nummern, das ist wohl dem Umstand geschuldet, dass Sie endlich mal etwas Eigenes haben wollten.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Es hilft zwar in der Sache nichts, aber ein bisschen rührend ist es schon.

Berlin braucht eine Regierung, die entscheidet und die Weichen für die Zukunft stellt, die dem sozialen Zusammenhalt verpflichtet ist. Da haben schon Koalitionsvertrag und Regierungserklärung nichts Gutes ahnen lassen.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Nach 100 Tagen kann man feststellen: Rot-Schwarz verspricht wenig, prüft viel und handelt überhaupt nicht. Diese neue Regierung hat als gemeinsames strategisches Projekt nur ein kleines Stück teure und sinnlose Autobahn, von dem immer noch unklar ist, ob es überhaupt gebaut wird. Sie haben weder eine Idee noch einen Plan. Sie machen Regieren um des Regierens willen. Das ist zu wenig, das hat die Stadt nicht verdient!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

Vielen Dank! –

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