Aussprache zur Regierungserklärung zum Flughafendebakel

Udo Wolf

Das also ist heute die Aussprache zur Regierungserklärung zum Flughafendebakel. Vor zwei Wochen hatten Sie das irgendwie noch nicht nötig.

17. Wahlperiode
Plenar- und Ausschussdienst

Vorabprotokoll
gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 GO Abghs

Vorläufiger Text, von den Rednerinnen/Rednern nicht durchgesehen!

Plenarprotokoll 17. Sitzung

Donnerstag, 13. September 2012

Udo Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das also ist heute die Aussprache zur Regierungserklä- rung zum Flughafendebakel. Vor zwei Wochen hatten Sie das irgendwie noch nicht nötig. Da wurde eine Regie- rungserklärung mit großer Geste abgelehnt. Dafür hatten wir dann eine Aktuelle Stunde zum Thema. Der Regie- rende sprach zum Ende der Debatte und erfreute uns alle mit der verblüffenden und, wie ich finde, etwas überdreh- ten Einschätzung, es handle sich bei BER um eine Er- folgsgeschichte.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Das hat er heute wieder ge- macht!]

– Genau! Und heute wieder die gleiche Leier. Ich hatte es bisher so verstanden: Eine Erfolgsgeschichte ist etwas, wo etwas richtig geklappt hat. – So kann man sich irren.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber noch besser: Herr Saleh und Herr Graf, die Frakti- onsvorsitzenden von SPD und CDU, haben gehört: Er- folgsgeschichte? – Na, wenn das so ist, dann wollen wir auch wieder mitspielen. – Oder wie ist das neu erwachte Interesse am Thema zu erklären, nachdem Sie das letzte Mal so gekniffen haben?

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Und heute dieses furchtbare Pathos – muss das sein? „Handeln in Verantwortung“, „alle Kräfte bündeln für den Erfolg des BER“ – klar, alle hier wollen, dass der BER endlich ans Netz geht.

[Daniel Buchholz (SPD): Nee!]

Es ist das derzeit wichtigste Infrastrukturprojekt der Hauptstadtregion. Tegel kann dann endlich geschlossen werden.

Aber es sind Fehler bei Planung und Bau gemacht wor- den. Hätten nach der ersten, spätestens nach der zweiten Verschiebung alle Verantwortlichen in der Geschäftsfüh- rung ihre Kräfte vernünftig gebündelt und gehandelt, müssten wir vielleicht nicht jede Plenarsitzung über das Scheitern reden.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und es lässt sich nicht wegdiskutieren: Deswegen kostet es mindestens 1,2 Milliarden Euro mehr. Das alles wer- den wir uns im Untersuchungsausschuss zum BER noch ganz genau ansehen müssen, Herr Saleh. Unsere Fragen liegen übrigens seit dem 5. 8. vor, was noch in den Ferien war. Sie waren nicht bereit und in der Lage, darauf zu antworten und mit uns zu verhandeln, wie wir den Untersuchungsausschuss vernünftig und schnell einsetzen kön- nen.

[Martina Michels (LINKE): Genau das ist die Wahrheit!]

Und kommen Sie uns auch nicht mit dieser komischen Pose: Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Flieger! – Das ist kompletter Blödsinn!

[Lachen bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir müssen natürlich darüber reden, wer an was schuld ist, wer was wann gewusst hat und wie wir das Problem in Zukunft auflösen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Dass man bei Ihnen ganz genau hinsehen muss, meine Damen und Herren von der Koalition, zeigt die wunder- same Geldvermehrung des Herrn Nußbaum. Nachdem Herr Esser von den Grünen und Manuela Schmidt aus meiner Fraktion beim letzten Doppelhaushalt den Finanz- senator bei haushaltspolitischen Taschenspielertricks er- wischt haben, ist unser Zutrauen in die Finanzpolitik die- ses Senats nicht besonders groß. Aber das, was Sie jetzt als Nachtragshaushalt zur Debatte stellen, ist ja wohl die Krönung.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ist es nicht absolut lächerlich? Es werden 444 Millionen Euro aus Landesmitteln zusätzlich für den Flughäfen be- nötigt – und hoppla, rein zufälligerweise kann Herr Dr. Nußbaum im Haushaltsnotlageland Berlin genau 444 Millionen Euro finden, und das ohne neue Schulden oder dass bei anderen Projekten oder Ausgaben gespart werden muss!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe]

Was soll denn das? Wer soll denn so etwas glauben? Für wie dumm hält dieser Senat die Berlinerinnen und Berli- ner und uns hier im Parlament?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ok, ein bisschen Luft haben Sie im Landeshaushalt! Un- gefähr 128 Millionen Euro haben unsere Haushälter auf Grundlage Ihrer eigenen Senatsberichte ausgerechnet. Aber woher kommen auf einmal die fehlenden 316 Mil- lionen Euro? Jetzt gibt es auf einmal Mehreinnahmen bei der Umsatzsteuer von 250 Millionen Euro, die Sie bei Vorlage des Statusberichts zum Haushalt vor sechs Wo- chen – ich wiederhole: vor sechs Wochen! – noch nicht ahnen konnten? Erzählen Sie diese Märchen jemand an- derem!

Natürlich können Einzahlungen bei den Finanzämtern zu unerwarteten Einnahmen führen – aber doch nicht 250 Millionen Euro mehr seit Anfang August dieses Jah- res!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wenn man nett ist, Herr Nußbaum, könnte man Ihnen fehlende Durchsicht über die Einnahmesituation vorwer- fen. Wenn man realistisch ist, muss man annehmen, dass Sie das Parlament getäuscht haben.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Damit wären wir beim wesentlichen Punkt: der Gestal- tungskraft und Glaubwürdigkeit dieser Koalition. Ich sage es einmal kurz: Große Klappe und finanziell nichts dahinter. Und das ist so, weil Sie entweder auf die finan- ziellen Tricks von Herrn Nußbaum hereinfallen oder – das wäre genauso schlimm – sich hinter seinen Tricks verstecken. Von der CDU ist vielleicht nichts anderes zu erwarten. Ihr reicht es, in der Regierung zu sein; egal, in welcher personellen Besetzung, und mit Mogeln und Tricksen hatten Sie ja noch nie ein richtiges Problem – nicht wahr, Herr Graf?

Aber Herr Saleh! Ist die SPD nicht doch noch ein biss- chen ambitionierter? Sie behaupten zumindest immer, dass Sie etwas für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt tun wollen. Merken Sie denn nicht, wie Sie durch diesen aktuellen Vorgang öffentlich zum Narren gemacht werden?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Finanzsenator Nußbaum hat auf die Schnelle 444 Millio- nen Euro gefunden, und Sie verteuern hier zum 1. Januar das Sozialticket für die bedürftigsten Berlinerinnen und Berliner. Sie müssen dann 2,50 Euro mehr im Monat be- zahlen, damit sie U-Bahn fahren können. Das bringt noch nicht einmal 1 Million Euro für den Haushalt! Auch schaffen Sie gerade die öffentlich geförderte Beschäfti- gung ab, um 35 Millionen Euro zu sparen, und Sie zahlen den Berlinarbeitern keinen Mindestlohn mehr. Sie kürzen das Personal und damit auch die Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger, um 30 Millionen Euro einzu- knausern. Sie kürzen bei der Förderung besonders bedürf- tiger Schüler, und wegen angeblicher Geldknappheit ver- weigern Sie die notwendigen Ausgaben für die Kosten der Unterkunft.

Lieber Herr Saleh! Für alle sozialpolitischen Maßnahmen war und ist kein Geld da? – Das ist doch komplett ab- surd!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Der gute Herr Nußbaum findet fast eine halbe Milliarde innerhalb weniger Wochen, wenn der Regierende ihn nur nett darum bittet!

Im Gegensatz zu uns, der Opposition, sind Sie, liebe Kol- leginnen und Kollegen von SPD und CDU, nicht auf die formalen und dürren Stellungnahmen des Senats ange- wiesen. Sie sind mit Ihren Fraktionsvorsitzenden am Se- natstisch vertreten. Sie haben diese Regierung gewählt und segnen den Haushalt ab.

Ich rechne mal zusammen: Die von mir genannten Pfeiler der sozialen Infrastruktur würden weniger als 130 Milli- onen Euro kosten, nicht einmal ein Drittel von dem, was Ihr Finanzsenator gerade zufällig in der Portokasse gefun- den hat. Wenn wir uns schon veralbert vorkommen, wie müssen sich die Leute fühlen, die auf die soziale Infra- struktur dieser Stadt angewiesen sind?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Im Ergebnis kann man sich entscheiden: Entweder hat der Senat das Parlament und die Öffentlichkeit ernsthaft getäuscht, inklusive der SPD- und der CDU-Fraktion, oder aber die Koalition möchte überhaupt nichts für Ber- lin erreichen, was auch Geld kosten könnte, es sei denn, es dreht sich gerade um Prestigeprojekte. Gar nicht aus- geschlossen ist, dass beides stimmt.

[Joschka Langenbrinck (SPD): Wieder ein Schwachsinn!]

Die Eröffnung des Flughafens ist schon allein ein Desas- ter. Wie Senat und die Koalition es finanziell zu managen versuchen, ist aber noch viel schlimmer. Es offenbart die Seele dieser Koalition. Tricksereien einerseits und naives Wenn hier alle mal zusammenhalten, kriegen wir das hin- Geplapper andererseits: Sie haben nichts außer Konsoli- dierungsrhetorik und Großprojekte. Beides kriegen Sie nicht hin. Was Ihnen fehlt, ist eine vernünftige Idee und eine Strategie für ein soziales Berlin.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir werden Ihnen Murks beim Flughafen keinen Blanko- Scheck ausstellen, denn wie schon die letzten beiden Male frage ich Sie: Wie viel von den 444 Millionen Euro sollen als Kapitalzuführung, wie viel als Kredite, wie viel als Bürgschaft der Flughafengesellschaft gewährt wer- den? Was und in welchem Zeitraum soll davon aus dem Betriebsergebnis der Flughafengesellschaft refinanziert werden? Mit anderen Worten: Was bezahlt die Flughafen- gesellschaft für ihr Missmanagement selbst, was die Ber- linerinnen und Berliner? Darauf geben Sie immer noch keine Antwort, auch auf Nachfrage eiern Sie da rum.

Im Ergebnis bleibt festzustellen: Die heutige Regierungs- erklärung bringt nur wenig Neues zum Flughafen, aber Ihr vorgelegter Nachtragshaushalt bringt es an den Tag. Sie nehmen die Berlinerinnen und Berliner nicht ernst. Sie machen sich hier nicht ehrlich. Wieder geht Ihnen Schnelligkeit vor Gründlichkeit. Und im Zweifel wird bei Rot-Schwarz auf Kosten der Allgemeinheit getrickst.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

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