Einsetzung eines Untersuchungsausschusses BER

Udo Wolf

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was sich hier gerade zu dem wichtigsten Infrastrukturprojekt in Berlin und Brandenburg abspielt, ist absolut unterirdisch.

Plenarprotokoll

16. Sitzung

Donnerstag, 30. August 2012

Präsident Ralf Wieland:

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

Flughafen BER Willy Brandt

(auf Antrag der Fraktion der SPD)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 38:

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Ursachen, Konsequenzen und Verantwortung für die Kosten- und Terminüberschreitungen des im Bau befindlichen Flughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER)

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion
Drucksache 17/0460

Für die Besprechung bzw. Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann.

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

– Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Udo Wolf das Wort. – Bitte sehr!

Udo Wolf (LINKE):

Danke schön, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was sich hier gerade zu dem wichtigsten Infrastrukturprojekt in Berlin und Brandenburg abspielt, ist absolut unterirdisch.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich hatte wie Frau Pop erwartet, dass es heute zu einer Regierungserklärung kommt. Jetzt behandeln wir das Thema im Rahmen der Aktuellen Stunde. Ich habe gedacht, es macht in der Sache keinen großen Unterschied, aber der Verlauf der Diskussion bisher zeigt: Es wäre sinnvoller gewesen, wenn der Regierende Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende vielleicht am Anfang Stellung genommen hätte zum Stand der Dinge,

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

als dass wir hier so einen kleinlichen Hickhack um die Frage abliefern: Wer hat den Untersuchungsausschuss erfunden? Bemerkenswert ist auch, Herr Saleh, Herr Graf, dass Sie heute nicht an der Seite von Klaus Wowereit kämpfen, sondern dass Sie andere vorschicken.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Spitzenkräfte!]

Dafür, dass diese Koalition nur eine einzige strategische Gemeinsamkeit für sich selbst in Anspruch genommen hat, nämlich die großen Infrastrukturprojekte zu realisieren in dieser Stadt, und wir heute konstatieren müssen, dass das größte Infrastrukturprojekt zumindest in seiner tiefsten Krise steckt und das andere große Infrastrukturprojekt, die A 100, noch nicht mal im Bundeshaushalt vorgesehen ist – dass Sie angesichts dieser Tatsache andere vorschicken, das ist ganz schön feige, Herr Saleh und Herr Graf!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Das zeigt auch, dass nach nicht einmal einem Jahr die gesamte inhaltliche Substanz und Basis der rot-schwarzen Koalition anscheinend aufgebraucht ist. Dabei, Herr Wowereit, erwarte ich gar nicht von Ihnen, dass Sie uns heute einen fixen Eröffnungstermin nennen, aber ich erwarte, dass Sie heute einen seriösen Plan vorstellen, wie Sie im Aufsichtsrat dafür sorgen wollen, dass die Stagnation der letzten Wochen endlich überwunden werden kann.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Und ich erwarte, dass Klarheit anstelle der wilden Spekulationen tritt, die offensichtlich auch aus dem Aufsichtsrat heraus befeuert werden. Klarheit ist das, was die Berlinerinnen und Berliner jetzt haben wollen, und ist auch das, worauf sie ein Recht haben.

[Beifall bei der LINKEN–
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Aber irgendwie sind wir bis jetzt nicht viel weiter als bei Ihrer Regierungserklärung zum BER-Desaster im Mai. Die Fragen, die ich damals gestellt habe, sind immer noch nicht beantwortet.

Aber auch die Politik der CDU hat sich seit Mai nicht besonders gebessert. In der Brandenburger CDU

[Lachen bei der LINKEN]

gibt es eine wilde Forderung nach der anderen. Da hat man alles kommen sehen und hat auch alles ganz genau gewusst, und jetzt fordert man seitens der CDU, der Platzeck müsse zurücktreten. Aber was heißt das, Herr Henkel, Herr Graf? Wenn schon der stellvertretende Aufsichtsratvorsitzende gehen soll, dann muss doch die CDU erst recht den Rücktritt des Aufsichtsratvorsitzenden fordern, oder?

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Also wir machen das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, um da nicht missverstanden zu werden!

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Dann ist da noch der Bundesverkehrsminister, Herr Ramsauer von der CSU. Der macht sich einen ganz schlanken Fuß, und zeigt mit dem nackten Finger auf Herrn Wowereit, und das, obwohl sein eigener Staatssekretär, Herr Bomba, nicht nur für den Bund im Aufsichtsrat sitzt, sondern auch dem Projektausschuss des Aufsichtsrats angehört.

[Martina Michels (LINKE):Aha!]

Die Berliner CDU – Herr Friederici hat hier viel gesagt, aber wenig zum Inhalt – stellt sich in der Flughafenfrage tot und hofft, dass niemand irgendetwas fragt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Das reicht aber nicht, Herr Aufsichtsrat Henkel! Sie haben auch Verantwortung für das Gelingen des Flughafenprojekts. Sprechen Sie wenigstens mit Ihren Parteifreunden aus Brandenburg und dem Bund, damit die Fertigstellung des Flughafens nicht noch durch die sinnfreien Einlassungen Ihrer eigenen Leute erschwert wird.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN,
und den PIRATEN]

Überraschend und nicht besonders einleuchtend finde ich die Aussagen von der Wirtschaftssenatorin, Frau von Obernitz, dass das Flughafendebakel keine gravierenden Auswirkungen auf die Berliner Wirtschaft hat. Das kann ich nicht so richtig glauben. Wenn ich mir die Zeitungsberichte über die vielen betroffenen Kleinunternehmer ansehe, würden mir an Ihrer Stelle solche Bewertungen nicht so leicht über die Lippen kommen. Wie die ohnehin schwierige Lage von Air Berlin durch die Verzögerung beim BER beeinflusst wird, lässt sich heute noch gar nicht absehen.

Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, Herr Wowereit. Als Chef des Senats, der bekanntlich mit einer Stimme spricht, finden Sie das Schönreden in dieser Situation angemessen? Ich glaube, die Unternehmen und Beschäftigten, die damit gerechnet haben, dass sie schon längst am Standort Schönefeld arbeiten, finden das gar nicht lustig.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Was die zusätzlichen Kosten angeht, gibt es Schätzungen: mindestens 1,2 Milliarden Euro mehr. Klar ist bereits jetzt, dass die Flughafengesellschaft dieses Geld nicht hat. Wenn die gesamte Summe von den Eigentümern nachgeschossen werden müsste, hieße das für Berlin über 440 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt. Dazu braucht es einen Nachtragshaushalt, das ist völlig klar. Aber es muss auch gesagt werden, wie viel von dem Geld der Flughafengesellschaft als Eigenkapital zugeführt werden soll, und wie viel über Kredite der Eigentümer. Hier schwirren die unterschiedlichsten Zahlen durch die Welt. Da brauchen wir auch bald einmal Klarheit. Das gilt auch für die wohl notwendige Zwischenfinanzierung bis die Eigentümerhilfen von der EU-Kommission gebilligt worden sind. Wie soll diese Zwischenfinanzierung funktionieren? Muss das Land hier mit Bürgschaften für Kredite einspringen? Das sind alles wichtige Fragen, über die man nicht mit parteipolitischem Geplänkel über Untersuchungsausschussverzögerungen oder sonst etwas hinwegkommt, sondern da muss man in der Sache etwas liefern, Herr Schneider und Herr Friederici!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Wie also, Herr Regierender Bürgermeister, ist sichergestellt, dass die Flughafengesellschaft in ein paar Monaten ihre Rechnungen noch bezahlen kann, damit es nicht noch zu weiteren Verzögerungen bei der Fertigstellung des Flughafens kommt?

Eines sage ich Ihnen zu den Auswirkungen der erhöhten Kosten schon jetzt: Meine Fraktion wird nicht zustimmen, dass diese Mehrkosten zulasten der sozialen Infrastruktur Berlins nachgespart werden,

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

und wird nicht zustimmen, einen Teil der Mehrkosten dadurch einzusparen, indem man duldet, dass Leiharbeiter zu Dumpinglöhnen dort arbeiten.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und
den PIRATEN]

Ja, Berlin braucht einen leistungsfähigen Flughafen. Aber kaum jemanden, der seine fünf Sinne beisammen hat, ist zu vermitteln, warum man den Bezirken notwendiges Personal vorenthält, bei den Kosten der Unterkunft spart, Seniorenfreizeitstätten dicht macht, aber schnell mehr als 440 Millionen Euro mobilisieren kann, um die Fehler der Flughafengesellschaft zu bezahlen. Nein! Mindestens die Verschiebungskosten muss die Flughafengesellschaft in der Perspektive selbst wieder einspielen.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Gegenüber dem Stand Mai sind wir in der Frage des Schallschutzes für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger im Südosten Berlins und in Brandenburg ein bisschen weiter. Wie wir von Anfang an gefordert haben, hat der Aufsichtsrat den Vorstand nun endlich dazu gedrängt, dass der sogenannte Klarstellungsantrag zum Planfeststellungsbeschluss wieder zurückgenommen wird. Ich muss ehrlich sagen, es war eine ziemliche Frechheit, was die Flughafengesellschaft da versucht hat. Im Nachhinein sollten die Grenzwerte für die Lärmbelastung nach oben gesetzt werden. Das Land Berlin hat dieses Getrickse auf Kosten der Betroffenen auch noch unterstützt. Aber das Oberverwaltungsgericht hat dieses unschöne Treiben nun zum Glück gestoppt. Soweit ich weiß, hat das Land Brandenburg schon länger für die bürgerfreundlichere Lösung gestritten.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Ich muss sagen, da hätte sich der Senat ein Beispiel an der rot-roten Regierung in Potsdam nehmen können.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Aber, wir haben es heute gesehen, es gibt bei diesem Thema auch sehr viel Geplapper. Noch bevor es einen Untersuchungsausschuss gibt, werden Rücktrittsforderungen gegen diesen oder jenen gestellt, weiß jeder einen, der gefeuert werden muss, und so weiter und so fort. Das wird auf Dauer ziemlich öde und bringt in der Sache wenig. Das bringt den Leuten, die weiter unter Tegel leiden müssen, nichts, es bringt den Leuten, die Klarheit über die Lärmschutzmaßnahmen in Treptow-Köpenick haben wollen, nichts, es bringt den Beschäftigten, die künftig auf dem BER arbeiten sollen, auch nichts.

[Torsten Schneider (SPD): Sagen Sie das den Grünen!]

Wer welche Verantwortung trägt, und wer zu welchem Zeitpunkt was gewusst hat, das sind die Fragen, mit denen sich der Untersuchungsausschuss beschäftigen wird.

[Beifall bei der LINKEN –
Torsten Schneider (SPD): Jawohl! Herr Delius,
jetzt hören Sie einmal hin!]

Wie ich schon im Mai gesagt habe: Hals über Kopf Leute hinauszuwerfen, ohne zu wissen, wie es weitergehen soll – das ist schon passiert, Herr Schneider! –, ist nicht besonders schlau. Inzwischen ist der Bau zusätzlich ins Stocken geraten, weil sich neue Planer erst einarbeiten müssen. Das vordringlichste Ziel muss doch sein, dass der Flughafen BER endlich eröffnet wird, und das mit einem Maximum an Lärmschutz für die Anwohner. Mir scheint, dass einigen dieses Ziel verloren gegangen ist im Wettbewerb „Wer stellt die steilsten Forderungen?“.

[Torsten Schneider (SPD): Bravo!]

Wir sehen im Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, die Verantwortlichkeiten zu klären, aber auch Chancen, noch etwas Geld zu retten. So muss im Untersuchungsausschuss unter anderem auch erörtert werden, ob weiterer Schadenersatz von Planungs- oder Baufirmen oder anderen gefordert werden kann. Zu klären ist auch – damit es in Zukunft besser läuft –, ob die Aufsichtsratmitglieder ausreichend professionelle Unterstützung erhalten haben. Mir wäre es ehrlich gesagt recht, wenn wir heute diesen Untersuchungsausschuss endlich einrichten können. Die Fragen liegen auf dem Tisch. Alle wollen Aufklärung – angeblich. Dann können wir es heute auch machen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner brauchen Klarheit, die Berliner Wirtschaft braucht Klarheit, die Airlines brauchen Klarheit, in welchem Quartal in welchem Jahr mit der Eröffnung des BER zu rechnen ist. Wann ist Schluss mit den zusätzlichen Belastungen im Umfeld von Tegel? Bis wann werden die Schallschutzmaßnahmen umgesetzt? Welche Kosten kommen auf das Land Berlin zu? Wie will die SPD-CDU-Koalition sie bezahlen? Sollen andere Projekte gekippt werden, und wenn ja, welche? Herr Wowereit! Herr Henkel! Sie sind in der Pflicht! Sie sollen den Flughafen nicht selbst zu Ende bauen, aber schaffen Sie endlich Klarheit. Das ist Ihre Aufgabe.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

Vielen Dank, Herr Wolf! –

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