Friedlich in den 1. Mai

Die Gefährdungseinschätzung der Polizei ist die gleiche wie im letzten Jahr. Aber hinterher ist man immer schlauer.

46. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode in der Aktuellen Stunde zu »Gegen Gewalt – Berlinerinnen und Berliner für einen friedlichen 1. Mai«

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das vorweg gleich klarzustellen: Wenn jemand – und sei er auch Mitglied meiner Partei – von faschistischem Korpsgeist bei der Berliner Polizei spricht, dann hat er keine Ahnung, weder vom Faschismus noch von der Berliner Polizei, das ist einfach gefährliches dummes Zeug.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Zuruf von Oliver Scholz (CDU)]

Es ist allerdings auch dummes Zeug, die Serie von angezündeten Autos in Verbindung mit den Mai-Demonstrationen zu stellen, wie das CDU und FDP tun. Dafür gibt es keinerlei seriöse Anhaltspunkte.

Herr Juhnke, Herr Wansner! Ich finde das, was auf der 18-Uhr-Demo-Pressekonferenz zu Ihrem geplanten Stand auf dem My-Fest gesagt wurde, bescheuert. Ich halte das aber auch eher für Prahlerei. Aber Sie wundern sich doch nicht wirklich, dass dieses Spektrum sich von Ihnen provoziert fühlt? – Sie beschimpfen sie seit Jahren aufs Heftigste, und zwar völlig egal, ob die was angestellt haben oder nicht. Und ganz ehrlich, Herr Wansner: Wenn die Sie einfach ignoriert hätten, hätte Sie das mehr geärgert, oder?

Ihren Stand hätten Sie übrigens bei den Organisatoren des Myfests anmelden müssen, weil sie das Sondernutzungsrecht für das Straßenland am 1. Mai haben und nicht beim Polizeipräsidenten. Jetzt planen Sie ja, wie ich gehört habe, Ihre eigene Demo. Dem »Tagesspiegel« war zu entnehmen, dass der Polizeipräsident das eventuell nicht genehmigen lassen will. Das finde ich übertrieben und nicht richtig, ebenso wie die Auflage für die Mayday-Parade nicht durch die Friedrichstraße gehen zu dürfen.

[Benedikt Lux (Grüne): Endlich was zur Sache!]

Mit Auflagen und Demonstrationsverboten sollte man sehr zurückhaltend umgehen.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]

Aber, Herr Wansner, da gilt für Sie das Gleiche wie für die anderen selbsternannten Revolutionäre: Immer schön friedlich bleiben, kein Streit mit den Festbesuchern und der Polizei anfangen!

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Das Ermüdende an der Diskussion jedes Jahr vor dem 1. Mai ist, dass die Erkenntnisse aus der Auswertung des Vergangenen schon wieder verdrängt sind. Als wäre es der CDU, der FDP und den Springer-Medien und – niemals namentlich genannten – gut informierten Sicherheitskreisen zu langweilig, einen weitgehend friedlich verlaufenden 1. Mai zu erleben. Jeder Artikel wird mit dem einen, noch brennenden Müllcontainer garniert oder mit den Bildern aus den Achtziger und Neunziger Jahren, statt mit den Bildern von Tausenden friedlich feiernden Menschen auf dem Mariannenplatz oder der O-Straße oder mit den Demonstrationen des DGB.

Der vergangene 1. Mai war der friedlichste seit 25 Jahren. Herr Juhnke, das können Sie einfach nicht bestreiten!

[Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Die sogenannten revolutionären Demonstrationen waren friedlich, das Myfest war noch größer und stärker besucht als in den Vorjahren und das, obwohl es auch da – wie übrigens immer – im Internet, auf Flugblättern und Plakaten martialische Aufrufe und Ankündigungen gegeben hat. Schon in den Jahren zuvor wurde der Nachweis geführt, dass die immer weniger werdende Randale nicht mehr im Zusammenhang mit einer der politischen Demonstrationen stand. Was danach passierte, passierte durch meist alkoholisierte, erlebnishungrige Jugendliche nach Einbruch der Dunkelheit.

Es ist zweifellos so, dass die Wirtschaftskrise und das skandalöse Verhalten von Bankiers und Managern das soziale Klima nicht gerade befrieden. Die Warnungen von DGB-Chef Sommer und Frau Schwan vor sozialen Unruhen im Raum

[Dr. Martin Lindner (FDP): Dummes Geschwätz!]

Selbstverständlich wird in sich polarisierenden politischen und sozialen Auseinandersetzungen der Ton rauer. Aber wo kommen wir denn hin, wenn jeder Protest, jede Demonstration unter Generalverdacht gestellt wird, gewalttätig zu werden, nur weil sie am 1. Mai in Kreuzberg oder in Mitte stattfindet oder weil ein paar junge Leute dicke Backen machen!

[Beifall bei der Linksfraktion –
Beifall von Volker Ratzmann (Grüne)]

Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut. Ich finde es nicht nur legitim, wenn Menschen es nutzen, ich finde es auch wertvoll für die Demokratie und das Gemeinwesen, wenn es genutzt wird. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was da erzählt wird, aber ich finde es gut und vernünftig, wenn sich die Menschen in dieser Stadt mit dem Problem von Gentrifikation und Segregation auseinander setzen, wenn der Skandal um die Kassiererin Emily thematisiert wird, wenn kritisiert wird, wenn Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Ich finde es geradezu eine Pflichtaufgabe für jede Demokratin und jeden Demokraten, gegen Nazis zu demonstrieren, wo auch immer sie sich versammeln – nicht nur am 1. Mai, aber gerade am 1. Mai.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Deshalb kann ich nur aufrufen: Kämpfen Sie morgen zusammen mit dem DGB, dem rot-roten Senat und den Berliner Regierungsfraktionen für einen gesetzlichen Mindestlohn, und beeilen Sie sich dann, um zusammen mit dem Bündnis für Toleranz und Demokratie am Bahnhof Köpenick gegen die NPD zu demonstrieren. Genießen Sie am Nachmittag ein großes kulturell und politisch spannendes Myfest.

Keiner von uns, meine Damen und Herren, ist Hellseher oder Next-Uri-Geller, kann sein, dass morgen der 1. Mai nicht so gut läuft wie der letzte. Bisher spricht nichts dafür, aber das wissen wir erst hinterher. Die Gefährdungseinschätzung der Polizei ist exakt die gleiche wie im vergangenen Jahr. Aber selbst wenn die Vorzeichen andere wären, was wäre eigentlich die Alternative? – Das Konzept Kewenig/Schönbohm/Werthebach? Demonstrationsverbote, martialisch auftretende Polizei, Knüppel frei? Möglicherweise mal wieder ganz Kreuzberg absperren? Wer so an die Sache herangeht, muss nicht rätseln, ob es Randale gibt, die ist dann sicher. Den Beweis haben die früheren CDU-Innensenatoren erbracht.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Warum also sollten wir zu einem gescheiterten Konzept zurückkehren? – Uns fällt kein vernünftiger Grund ein. – Ich wünsche allen einen friedlichen 1. Mai.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]

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