Kein Kopftuchgesetz, sondern ein Neutralitätsgesetz

Udo Wolf

Rede des Abg. Udo Wolf in der 58. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 28. Oktober 2004 / Gesetz zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin

 

Rede des Abg. Udo Wolf in der 58. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 28. Oktober 2004 / Gesetz zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin

Wolf (PDS): Wir haben von Herrn Apelt keine Kreuzritterrede zur Verteidigung des Abendlandes gehört, wie sie sonst Herr Henkel üblicherweise vorträgt,

 

[Ritzmann (FDP): Es war der gleiche Inhalt!]

aber trotzdem hat er wieder versucht, ein Vorurteil zu reanimieren, wonach das Kopftuch dem Charakter nach ein anderes Symbol darstellt als das Kreuz, die Kippa oder sonst ein religiöses Symbol.

[Frau Schultze-Berndt (CDU): Er hat es auch begründet. Sie hätten zuhören sollen!]

Das ist nicht bewiesen, und darüber haben wir schon des öfteren geredet. Es ist auch nicht Aufgaben dieses Hauses - wie Herr Kleineidam richtig bemerkt hat -, die religiösen Motive des Einzelnen, wenn er ein religiöses Symbol trägt, zu bewerten.

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Das ist nicht unsere Aufgabe. Es schürt in dieser aktuellen Auseinandersetzung eher Vorurteile, anstatt dass es zum Frieden in dieser Stadt beiträgt.

[Beifall bei der PDS -Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der FDP -Zurufe von der CDU]

Es ist bekannt, dass es zwischen SPD und PDS eine Reihe von ernsten Differenzen in diesem so genannten Kopftuchstreit gab. Ich habe an dieser Stelle am 19. Februar gesagt und finde das auch nach wie vor richtig: Mit staatlichen Verboten, die auf religiöse und weltanschauliche Symbole zielen, sollte man vorsichtig sein, und zwar aus grundsätzlichen bürgerrechtlichen und rechtsstaatlichen Erwägungen, aber auch im Blick auf die praktischen Risiken und Nebenwirkungen. - Sicher ist, dass wir keiner Regelung zustimmen werden, die allein gläubige Muslime – so, wie Herr Apelt das gemacht hat - unter den Verdacht stellt, das Neutralitätsgebot des Staates zu verletzen.

Darin sehen wir uns auch durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni bestätigt. Frau Schavan glaubte, sie könne mit einem Trick im Schulgesetz und mit der Definition, dass die Nonnentracht künftig ein Blaumann sei, in Baden-Württemberg die Gleichbehandlung untergraben. Aber sie musste erleben, dass das nicht geht. Das Grundgesetz und die Gleichbehandlung gelten tatsächlich für alle gleich, und das ist vernünftig und gut so.

[Beifall bei der PDS]

Wir haben in der Koalition über einen Kompromiss verhandelt, und es haben vernünftige Leute zusammengesessen und Argumente ausgetauscht. Wer jetzt diesen Gesetzentwurf und den Antrag liest, der muss feststellen, dass entgegen der oft verkürzten Darstellung in der Öffentlichkeit der gefundene Kompromiss kein Kopftuchgesetz, sondern ein Neutralitätsgesetz ist. Er gilt auch nicht für große Teile des öffentlichen Dienstes, sondern das Gegenteil ist der Fall. Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen ist oberstes Prinzip. Was für Muslime gilt, gilt gleichermaßen für Christen, Juden, Buddhisten, Hinduisten usw., und der betroffene Personenkreis im öffentlichen Dienst ist stark eingeschränkt. Es geht um Beamtinnen und Beamte und Angestellte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzuges und der Polizei beschäftigt sind – also hoheitliche Aufgaben erfüllen –, sowie um Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in öffentlichen Schulen. Die anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – und das sind bekanntlich nicht wenige – sind davon nicht betroffen.

Schon mit der Veröffentlichung des Koalitionskompromisses kam die Frage auf, warum wir die Regel nicht 1 : 1 auf die Kitas übertragen. Herr Kleineidam hat dazu bereits etwas gesagt. Ich möchte noch ein weiteres Argument hinzufügen - neben den rechtlichen und praktischen Konsequenzen. Es ist auch noch einmal zu prüfen, ob dieser diskursive Ansatz, der versucht, das, was an Konflikten entsteht, erst einmal zivilgesellschaftlich zu regeln, dazu führt, Vorurteile im Alltagsleben abzubauen, und damit dem friedlichen Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen dienen kann.

[Beifall bei der PDS]

Aber ich möchte auch deutlich sagen, dass dieser Kompromiss für uns nur deshalb tragfähig ist, weil wir gleichzeitig dieses Maßnahmepaket für Integration und Antidiskriminierung eingebracht haben. Es gibt die Alltagsprobleme, aber wer Integration will – und nicht Assimilierung, wie es die CDU immer wieder fordert -,

[Frau Schultze-Berndt (CDU): Was meinen Sie denn damit?]

der muss auch seitens der Mehrheitsgesellschaft Angebote zur Integration bieten und Aufklärung leisten. Bei diesem Maßnahmepaket geht es an das Eingemachte, denn es geht um die Probleme von Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund, die besonders von Konflikten zwischen ihrem familiären und kulturellen Hintergrund und der Mehrheitsgesellschaft betroffen sind. Der Aktionsplan soll in besonderem Maße beitragen, bei diesen Konflikten zu helfen, und er soll den jungen Frauen und Mädchen bei der Sicherung gleicher Lebenschancen helfen.

Der Islam ist die drittgrößte konfessionelle Gruppe in Deutschland. Der Dialog ist unterentwickelt, vorurteilsbeladen und durch vielfältige Auslegung kompliziert. Der Arbeitskreis „Islam und Schule“ soll sowohl Kompetenz zur Beratung von Verwaltung bündeln als auch als Plattform des Dialogs zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischen Religionsgemeinschaften dienen. Insbesondere sollen hier Hilfsangebote für den Umgang mit interreligiösen Konflikten an der Schule und außerdem im Dialog Standards für den islamischen Religionsunterricht erarbeitet werden.

Zu einer vernünftigen Integrationspolitik gehört auch der Kampf gegen Diskriminierung. Deshalb wollen wir eine Antidiskriminierungsleitstelle einrichten, und zwar im Vorgriff auf bundesgesetzliche Regelungen.

Meine Redezeit geht zu Ende. Wir können in den Ausschüssen über dieses Thema noch fleißig weiter diskutieren. Ich möchte abschließend festhalten: Dieses Gesamtpaket stellt für uns einen ausgewogenen Kompromiss dar, der auch einer weltoffenen und multikulturellen Metropole so, wie wir sie uns wünschen, dienen kann.- Danke!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

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