Sondersitzung: Erneute Verschiebung der BER-Eröffnung

Udo Wolf zur erneuten Verschiebung der BER-Eröffnung und das Misstrauensvotum gegen Schwarz-Rot

23. Sondersitzung des Abgeordnetenhauses
Aktuelle Stunde »Erneute Verschiebung der BER-Eröffnung« (auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion)
in Verbindung mit Entzug des Vertrauens betreffend den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (Dringlicher Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion)

Drucksache 17/0745

 

[Aus dem Wortprotokoll]

Udo Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt aber wieder ernsthaft, Herr Saleh!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN –
Martina Michels (LINKE): Ja! Bravo!]

Klaus Wowereit hat die Bildung dieser Regierung mit nur einem einzigen Argument begründet: Eine Koalition aus SPD und CDU sei die einzige Möglichkeit, große Infrastrukturprojekte zu realisieren,

[Lachen bei den PIRATEN]

das wichtigste Infrastrukturprojekt, den Flughafen, fertig- und auszubauen und die A 100 zu bauen. Weil das allein als politisches Programm für eine Stadt wie Berlin zu wenig ist und obendrein der Bau der A 100 ökologisch und volkswirtschaftlich Blödsinn ist

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

und noch aus einigen anderen Gründen mehr haben wir diese Regierung nicht mitgewählt.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und weil Ihr Koalitionsvertrag ein Dokument des Stillstands und der Prüfaufträge war, wegen des 12-Tage-Senators, des falschen Doktortitels und den Tricksereien im Haushalt,

[Torsten Schneider (SPD): Wegen der! Richtige Grammatik!]

wegen des Aufklärungsdesasters beim NSU-Skandal und einer ganzen Reihe unsozialer Entscheidungen haben Sie mit dieser rot-schwarzen Koalition nie unser Vertrauen gehabt. Und wie es sich zeigt, haben Sie es auch nicht verdient.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Nach einem Jahr Rot-Schwarz gibt es keinen einzigen Grund, weshalb wir Ihnen und Ihrer Regierung Vertrauen aussprechen sollten. Gründe für Misstrauen dagegen gibt es haufenweise.

Ich habe es bei zwei Regierungserklärungen zum Flughafen und bei mehren Aktuellen Stunden in dieser Legislaturperiode gesagt: Bei komplexen Großprojekten in großen Verwaltungen kann es immer auch zu schwerwiegenden Problemen und Fehlern und zu Versagen kommen. Das ist nichts Außergewöhnliches. Wer etwas anderes erzählt, macht den Leuten etwas vor. Aber eine gute politische Leitung, eine gute Regierung beweist sich dann, wenn sie aus Fehlern lernt und imstande ist, ein vernünftiges Krisenmanagement zu machen. Eine Verschiebung ist nicht schön, aber verkraftbar. Eine zweite Verschiebung, wenn es die alles entscheidende Chefsache ist – da wird es schon heikel. Und jetzt: nächste Runde Verschiebung der Flughafeneröffnung, nächste Runde wirtschaftlicher Schaden und Imageschaden für Berlin, nächste Herumdruckserei seitens des Senats, nächste Runde Durchhalteparolen von SPD und CDU! Davon haben alle in Berlin die Nase voll.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber trotzdem, Herr Regierender Bürgermeister, würden wir gern wissen: Wie war das jetzt, was wurde im Dezember im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft besprochen, was beschlossen? War Herr Amman beauftragt, noch etwas nachzuarbeiten, oder ist ihm über Weihnachten einfach so etwas aufgefallen, was er mal den Eigentümern mitteilen wollte? Unser Antrag gestern im Verkehrsausschuss, diese Fragen zu beantworten und Licht in das dunkle Chaos der letzten Tage zu bringen, haben SPD und CDU abgelehnt. Wir hätten gern etwas mehr Aufklärung zu den Details erfahren, bevor wir hier heute reden. Von dem Willen zur Klarheit und Wahrheit, von dem Herr Saleh jetzt getönt hat, von dem die Koalition so gern spricht, hätte ich etwas mehr erwartet.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Herr Regierender Bürgermeister! Sie selbst haben den Flughafen zu Ihrer alles entscheidenden Chefsache gemacht. Sie selbst haben sich auf Eröffnungstermine festgelegt und als Aufsichtsratsvorsitzender von der berühmten Erfolgsstory Flughafen gesprochen. Und jetzt geben Sie den Aufsichtsratsvorsitz ab. Das heißt doch im Klartext: Sie glauben selbst nicht mehr daran, dass Sie die Probleme in den Griff bekommen können. Sie kapitulieren bei dem einzigen Thema, das Sie bislang in dieser Legislaturperiode interessiert hat.

Und da sagen Sie, Herr Henkel, Berlin habe eine Flughafen- und keine Regierungskrise. Ich sage Ihnen: Da irren Sie sich gewaltig, Berlin hat selbstverständlich eine Regierungskrise.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Das wäre sicher nicht so, wenn Sie und Ihre Koalition im letzten Jahr irgendetwas Vernünftiges für die Stadt hingekriegt hatten! Das haben Sie aber nicht!

[Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

Und weil alles, was CDU und SPD gemeinsam hatten, der Flughafen war,

[Torsten Schneider (SPD): Das hättet ihr gerne!]

und sie dieses einzige Gemeinsame nicht auf die Reihe kriegen, deshalb sitzen wir heute hier und beraten über Misstrauensanträge.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Torsten Schneider (SPD): Sag doch mal was
zu den Wasserpreisen!]

Wir können jetzt im Detail durchgehen, was beim Flughafen alles schiefgelaufen ist. Wir können das auch im Verkehrsausschuss machen oder im Untersuchungsausschuss. Aber das wollen die meisten Berlinerinnen und Berliner schon gar nicht mehr hören. Sie finden, dass diese Koalition ihre Arbeit schlecht macht. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Rot-Schwarz ist verspielt, und das nach gerade mal einem Jahr. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen! Da nützt es wenig, wenn Herr Saleh und Herr Graf sich gegenseitig versichern, dass sie sich nett finden.

[Lachen bei der LINKEN und den PIRATEN]

Meine Damen und Herren! Wenn Sie – wie leider zu vermuten ist – mit der Koalitionsmehrheit den Misstrauensantrag am Sonnabend wegstimmen werden, sollten Sie sich nicht einreden, Sie hätten das Schlimmste überstanden! Mit der Abstimmung hier im Hause lässt sich die tiefe Vertrauenskrise dieses Senats in der Stadt nicht auflösen. Dafür gibt es viel mehr Gründe als nur den Flughafen. Beim Thema soziale und ökologische Energiewende in Berlin ist diesem Senat nicht zu vertrauen. Ich sage Ihnen auch, warum: Sie haben im ersten Jahr Ihrer Regierung nichts, aber auch gar nichts erarbeitet, weder zu einem Stadtwerk noch zu einer kommunalen Netzgesellschaft. Unter dem Eindruck der erfolgreichen ersten Stufe des Energievolksbegehrens bekommen Sie Panik. Erst versuchen Sie, den Energietisch mit seinem Volksbegehren zu umschmeicheln, dann, unter Druck zu setzen. Als das nicht klappt, beschließen Sie einen völlig vagen und dazu noch inkonsistenten Plan zum Aufbau eines Energieversorgers. Das ist alles schon schlecht genug. Aber zur Zukunft der Stromnetze sagen Sie keinen Piep. Nichts. Sie wollen noch nicht einmal ausschließen, dass es eine Lösung wie in Hamburg gibt,

[Torsten Schneider (SPD): Das tut euch so weh!]

wo das Land kosmetisch einsteigt, aber der Atomkonzern Vattenfall weiter das Sagen hat. Vattenfall, das ist das Unternehmen, das Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht gerade auf Milliardensummen verklagt, weil es seine beiden Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel nicht mehr weiterbetreiben darf.

[Torsten Schneider (SPD): Dann solltet ihr einen
 Misstrauensantrag gegen Vattenfall einbringen!]

Vattenfall will nicht nur beim Atomausstieg noch einmal richtig abkassieren, nein, der Konzern setzt weiter auf Atomenergie.

[Oliver Friederici (CDU): Zum Thema!]

So hält Vattenfall eine Beteiligung an einem polnischen Energieversorger, der den Bau des ersten polnischen AKW plant. Diese vollständig rückwärts gewandte Atompolitik durch Vattenfall darf nicht noch durch den Berliner Senat unterstützt werden.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber der Senat verweigert klare Aussagen, und deshalb, Herr Schneider, misstrauen wir ihm in Sachen soziale, ökologische Energiewende.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich sagen Ihnen von der SPD oder zumindest denen von der sogenannten SPD-Linken: Sie sollten diesem Senat auch nicht trauen. Sie haben ja inzwischen Erfahrung damit, was der Senat mit den Vorschlägen von SPD-Parteitagen so macht.

[Torsten Schneider (SPD): Wie ist denn auf Kuba gerade das Wetter?]

Wenn es gut läuft, ignoriert er sie, wenn es schlecht läuft, macht er das Gegenteil. Kaum hat die SPD beschlossen, dass es keine Teilausschreibung der S-Bahn geben soll, beschließt der Senat genau diese Teilausschreibung. Ich sage Ihnen: Das wird das nächste Verkehrsdebakel für Berlin. Die Ausschreibung ist so gemacht, dass die neuen notwendigen S-Bahnzüge auf keinen Fall rechtzeitig da sein werden.

[Oliver Friederici (CDU): Weil Sie es immer verhindert haben!]

Um irgendwie über die Runden zu kommen, müssen alte Wagen aufwendig nachgerüstet werden und fallen für diese Zeit zusätzlich aus. Ich fürchte, dass schon ab dem Jahr 2015 die S-Bahnprobleme wieder richtig losgehen und sich dann für vier bis fünf Jahre noch verschärfen werden.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Dr. Turgut Altug (GRÜNE) und Christopher Lauer (PIRATEN) –
Torsten Schneider (SPD): Ersparen Sie uns den Rest! Das ist ja peinlich!]

Und wenn ich höre, dass der Senat auch kein Konzept dafür hat, wie die BVG an neue U-Bahnzüge kommt und wie er das bezahlt, dann wird mir schon ganz schlecht. Wenn dieser Senat und diese Koalition so weitermachen, drohen dem öffentlichen Nahverkehr richtig schwere Zeiten. Wir misstrauen Ihnen beim Thema Nahverkehr völlig, ehrlich gesagt haben wir sogar regelrecht Angst vor dem Schaden, den Sie gerade anrichten.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Beim Thema Berliner Wasserbetriebe und Wasserpreise sieht es nicht besser aus. Das Einzige, auf das die Berlinerinnen und Berliner vertrauen können, ist, dass sie von dieser Koalition geleimt werden. Die vollmundige Ankündigung der Senkung der überhöhten Wasserpreise, die Herr Saleh und Herr Graf im „Herbst der Entscheidungen“ gemacht haben,

[Torsten Schneider (SPD): Das tut ihm weh!]

hat sich als knickriger Pseudogutschein erwiesen. Die Wasserpreise sind nicht gesenkt worden, stattdessen gab es eine kleine Gutschrift, aber auch nur unter Vorbehalt. Das ist schlicht eine Frechheit.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Diese und viele weitere politische Fehlentscheidungen, wie beispielsweise die unsoziale und unnötige Verteuerung des Sozialtickets, die Abschaffung des ÖBS und die desaströse Personalpolitik in den Bezirken und nicht zuletzt die senatsinterne Blockade in Sachen Mieten- und Wohnungspolitik sind der Grund für den schlechten Ruf von Rot-Schwarz in der Berliner Bevölkerung.

[Torsten Schneider (SPD): 622 Millionen Euro Plus!]

Jetzt werden wir immer wieder gefragt, warum Die Linke in Berlin dem Regierenden Bürgermeister das Misstrauen ausspricht,

[Torsten Schneider (SPD): Nee, wofür man euch braucht!]

in Brandenburg Die Linke dem Ministerpräsidenten das Vertrauen. Die sitzen doch zusammen im Aufsichtsrat. Die Frage wäre berechtigt, ginge es nur um den Flughafen.

[Zurufe von der CDU: Ach!]

In Brandenburg erlebt die Landesregierung nicht eine solche Vertrauenskrise, weil sie auch noch etwas anderes hat als den Flughafen. Die rot-rote Regierung in Brandenburg

[Torsten Schneider (SPD): Das ist jetzt Dialektik!]

macht erfolgreiche soziale Landespolitik, bei den Brandenburgerinnen und Brandenburgern besitzt sie ein gewachsenes Ansehen. – Herr Schneider! Ein Blick über die Grenzen zahlt sich manchmal aus.

[Beifall bei der LINKEN –
Torsten Schneider (SPD): Ich habe “Das Kapital“ gelesen!]

In Brandenburg diskutiert man über die Fehler beim Flughafenbau und überlegt, was besser gemacht werden muss. In Berlin dagegen regiert eine Pannenkoalition, die unsoziale Politik macht,

[Torsten Schneider (SPD): Wo haben Sie  denn das aufschreiben lassen?]

und die angesichts des Flughafendesasters auch noch die anderen beschimpft – Herr Schneider ist ganz groß darin! –, so wie der Regierende Bürgermeister aber auch immer wieder kritische Nachfragen zum Flughafenbau als Schlechtreden von Berlin abgekanzelt hat,

[Torsten Schneider (SPD): „Überholen ohne Einzuholen“!]

und wir noch froh sein können, dass er nicht den Begriff der Antiberliner verwendet hat.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir alle wissen, dass es keine Alternative dazu gibt, den Flughafen fertig zu bauen. Es besteht sogar Hoffnung, dass man vielleicht nicht alles abreißen muss. Aber es geht jetzt um die Spielregeln, einen klaren Plan über Zeiträume, Verantwortlichkeiten und Kosten. Die Frage von Regressforderungen an Unternehmen, die bei der Planung und Realisierung des Großprojektes beteiligt waren, muss auf den Tisch. Ganz dringend muss geklärt werden, wie den mittelständischen Unternehmen zu helfen ist, die unter der erneuten Verschiebung der Flughafeneröffnung zu leiden haben.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Kurz und gut: Der Flughafen braucht einen Neustart. Diese Regierung brauchte den auch.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Dafür wäre aber eine politische Idee hilfreich. Wenn Ihnen dazu allerdings weiter nichts einfällt, wenn Sie kein Konzept und keinen Plan für diese Stadt haben, dann sollten Sie gehen. Denn dieses rot-schwarze Rumgemurkse sind die Berlinerinnen und Berliner wirklich leid. Diese Regierung hat keine Legitimation mehr in der Stadt,

[Andreas Gram (CDU): Ach!]

und das werden wir, wird die Linksfraktion mit dem Misstrauensvotum deutlich machen. – Vielen Dank!

[Starker Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

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