Unsere Antwort zum Koalitionsvertrag

Sie haben sicher Verständnis dafür, Herr Regierender Bürgermeister, dass uns Ihre Richtlinien zur Regierungspolitik nicht besonders vom Hocker hauen.

17. Wahlperiode • 6. Sitzung
Udo Wolf, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE

[aus dem Vorabprotokoll, es gilt das gesprochene Wort]

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat der Abgeordnete Udo Wolf das Wort.

Udo Wolf (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Saleh! Ja, zehn Jahre haben wir gemeinsam mit der SPD diese Stadt regiert, und wir können guten Gewissens sagen, wir haben gemeinsam einiges geleistet. Trotzdem hatten wir kein gutes Wahlergebnis; vermutlich vor allem, weil es uns nicht gelungen ist, wirklich transparent zu machen, was an Innovation und Fortschritt ganz wesentlich auf unsere Initiative hin zustande gekommen ist und an welchen Punkten – insbesondere beim Thema Mieten und Wohnungspolitik – wir uns als kleinerer Partner nicht haben durchsetzen können. Jetzt sind wir Opposition, und ich gebe Ihnen recht, dass das für eine kleinere Regierungsfraktion nach zehn Jahren auch etwas Befreiendes hat. Unter anderem muss man nicht mehr die ganzen schwierigen Kompromisse erklären.

Auf der anderen Seite nervt es einen dann doch ganz schön, wenn man sieht, dass die neue Regierung so gar keine eigene, neue Idee für die Zukunft dieser Stadt hat.

[Beifall bei der LINKEN]

Es ist doch ganz offensichtlich so, dass die CDU überhaupt keine politische Ambition hat. Es reicht Ihnen, irgendwie an der Regierung zu sein. Sie klatschen sogar, wenn der Regierende Sie mit Bundesratsinitiativen von Rot-Rot, mit der Tobin-Steuer, mit dem Mindestlohn, mit Mieten quält und durch den Kakao zieht – da klatschen Sie auch noch mit! Offensichtlich reicht es Ihnen, einfach nur in der Regierung zu sein.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Sie haben sicher Verständnis dafür, Herr Regierender Bürgermeister, dass uns Ihre Richtlinien zur Regierungspolitik nicht besonders vom Hocker hauen.

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Na?]

Der Koalitionsvertrag war schon eine ziemlich langweilige Veranstaltung.

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Mit euch!]

Man sollte meinen, wenn der Regierende eine Regierungserklärung abgibt, sollte so etwas wie Spannung aufkommen, Aufbruchstimmung, neue Ideen, neue Ziele.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Was Konkretes!]

Aber nichts, gar nichts, komplette Fehlanzeige! Ihnen ist der Laden ja auch schon nach zwölf Tagen um die Ohren geflogen, Respekt! Das ist reif für das Guinness-Buch der Rekorde, das hat vorher noch keiner geschafft!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Deshalb klingt alles, was Sie heute, mehr als vier Wochen später, zu sagen haben, eher langweilig. Es ist ein bisschen wie bei der S-Bahn: Verspätung, Ausfall und keine Auskunft. Nach nur zwölf Tagen musste der erste Senator Ihrer Regierung zurücktreten. Herr Wowereit! Michael Braun von der CDU, am 1. Dezember ernannt, als oberster Verbraucherschützer die absolute Fehlbesetzung. Absolute Fehlbesetzung, weil er als Notar Verträge über Schrottimmobilien beglaubigt hat, die Menschen ins Unglück gestürzt haben, weil er Verbraucherinnen und Verbraucher nicht geschützt hat, sondern von ihrer Unwissenheit auch noch profitiert hat. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben dazu nicht sehr viel gesagt, auch hier im Parlament nicht. Klaus Lederer hatte Ihnen in der letzten Fragestunde im Dezember eine Brücke gebaut. Sie hätten zeigen können, dass Sie es mit dem Mentalitätswechsel in der Stadt immer noch ernst meinen. Das haben Sie aber nicht.

Die CDU ist sich treu geblieben, Sie haben von Ihrer Mitnahmementalität kein Stück eingebüßt.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich will gar nicht über die 1990er-Jahre reden, es genügt das Hier und Heute. Gerade in der

Auseinandersetzung um Michael Braun hat die CDU eindrucksvoll unter Beweis gestellt, welche moralischen Maßstäbe sie in der Politik anlegt. Sie, Herr Henkel, sind zwar dafür bekannt, dass Sie jeden Taschendieb gerne mit größtmöglicher Härte verfolgen wollen, Null-Toleranz-Politik, das ist Ihnen sehr nah. Hingegen auf Distanz zu gehen zu zwielichtigen Geschäften und ihren Machern, das wollen oder können Sie nicht!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Michael Braun steht noch immer der CDU Steglitz-Zehlendorf vor, Sie stärken ihm immer noch den Rücken. Frau Seibeld – sie ist leider nicht im Raum –, Sie haben den Vogel abgeschossen, als Sie bei seinem Rücktritt noch die beleidigte Leberwurst gespielt haben: Die Stadt war so böse zu uns, und die Presse erst! Der arme Herr Braun! Wissen Sie was? – Wenn jemand für zwölf Tage im Amt auch noch gut 50 000 Euro vom Berliner Steuerzahler kassieren will, nenne ich das eine bodenlose Frechheit!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Da sagen Sie: Das Senatorengesetz ist so! Das sehen wir ganz anders. Wir haben auch einen Antrag dazu eingebracht. Darüber wird nachher noch gesprochen. Der Senat muss das Gesetz nur korrekt anwenden, dann würde gar kein Geld fließen. Herr Braun ist nicht etwa überraschend vom Regierenden Bürgermeister hinausgeworfen worden, nein, das hat Klaus Wowereit nicht gemacht,

[Michael Schäfer (GRÜNE): Leider!]

Herr Braun hat den Regierenden Bürgermeister um Entlassung gebeten. Er ist zurückgetreten. Dafür hat das Senatorengesetz zu Recht kein Übergangsgeld vorgesehen. Das ist auch richtig so. Das sehen auch renommierte Verfassungsrechtler so, und daran sollte sich der Senat halten.

[Beifall bei der LINKEN]

Herr Braun lässt überhaupt keinen Zweifel daran, dass ihm die 50 000 Euro zustehen. Hätten Sie nur einen Funken Anstand, Herr Braun – aber er ist auch gerade nicht im Saal –, Sie würden es nicht nehmen.

Keine Sorge, ich möchte jetzt nicht auch noch über den Bundespräsidenten reden. Jeder, der will, kann sehen, wie es mit den bürgerlichen Parteien in Deutschland aussieht. Ich will über Politik in Berlin reden. Diese Stadt will keine Zustände mehr wie in den 1990-er Jahren als mit Schwarz-Rot Filz und Vetternwirtschaft regierten, Wasser privatisiert wurde, mit Folgen, die wir immer noch alle bezahlen, oder, wie die Koalitionspartner in solch einer Situation miteinander umgehen. Auch darüber haben Sie uns in den ersten Wochen Ihrer Regierungszeit ein interessantes Bild vermittelt. So viel Schadenfreude und Häme in Sachen Braun waren zu hören, selbstverständlich anonym sind die Mitglieder der neuen Koalition übereinander hergezogen.

Herr Wowereit! Herr Henkel! Sie haben kein gemeinsames politisches Projekt. Sie haben einen kapitalen Fehlstart hingelegt, und dann können sich die beiden Regierungsfraktionen noch nicht einmal leiden. Sie gönnen sich ja noch nicht einmal selbst die üblichen 100 Tage Schonfrist, weshalb sollten wir es dann tun?

[Beifall bei der LINKEN]

Immerhin haben Sie jetzt einen Nachfolger für Herrn Braun gefunden. Aber weshalb Herr Heilmann ausgerechnet für dieses Ressort? Weil er als Werbeprofi am Besten weiß, wie man Verbrauchern etwas vormachen kann?

[Lachen von Dr. Wolfgang Albers (LINKE) – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Wir lassen uns überraschen. Es war bestimmt keine Parteibuchbesetzung.

Apropos Parteibuchbesetzung: Noch im Wahlkampf schimpfte Frank Henkel über den auch von uns abgelehnten, aber von der SPD dringend gewollten Polizeipräsidentenkandidaten. Hauptkritikpunkt dabei war: SPD-Parteibuch. Das wäre aus unserer Sicht noch das geringste Problem. Innensenator Henkel hat nun bekannt gegeben, dass der Polizeipräsident eventuell ganz ohne Ausschreibung direkt vom Innensenator ernannt werden soll. Die SPD reagierte darauf anfangs zunächst einmal irritiert. Inzwischen ist sie aber bereit, nicht nur Herrn Hansen zu opfern, sondern gleich auch noch das gesamte transparente Verfahren. Herr Henkel hat nun die Ausnahmegenehmigung beantragt. Ich hoffe, Personalrat und Gleichstellungsbeauftragte machen das nicht mit, denn sonst gibt es vermutlich die Besetzung nach CDU-Parteibuch. Es stimmt eben doch: Wenn CDU und SPD

zusammen regieren, dann ist es vorbei mit transparenten Verfahren, dann herrscht Kungelwirtschaft.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Herr Henkel! Es gibt nur eine Möglichkeit zur Klärung: Brechen Sie das alte Ausschreibungsverfahren ab und starten Sie ein neues. Das ist die einzig saubere Lösung.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE) und Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Die Zeitungen haben es geschrieben, wir haben es gesagt – dafür gibt es auch kein anderes Wort: Was SPD und CDU seit November vorigen Jahres hingelegt haben, war ein kapitaler Fehlstart. Da können Sie heute so tun, als seien Sie inzwischen in die Gänge gekommen, die Wahrheit ist: Sie werden nicht viel bewegen. Rot-Schwarz ist eine Koalition des Stillstands und der Blockade. Stillstand bedeutet bekanntlich Rückschritt.

[Beifall bei der LINKEN]

Politik findet bei Ihnen nicht mehr statt. Außer der Freude beim Postenbesetzen – Frau Pop hat bereits darauf hingewiesen. Es gibt jetzt 23 Staatssekretäre bei neun Senatoren. Was sollen die Senatoren eigentlich noch arbeiten? –, hält diese Koalition überhaupt nichts zusammen. Erkennbar war dies schon beim Koalitionsvertrag. Mit den heute vorgestellten Richtlinien zur Regierungspolitik haben Sie es heute unterstrichen. Was Sie Berlin bieten, Herr Regierender Bürgermeister, das ist ein Zeugnis der Bequemlichkeit und des Plagiats. Sie ruhen sich auf dem aus, was Rot-Rot auf den Weg gebracht hat, und das meiste Gehirnschmalz haben Sie offensichtlich darauf verwendet, alternative Begriffe für das Wort „fortsetzen“ zu finden.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN) – Michael Schäfer (GRÜNE): Was aber auch nicht gut für Rot-Rot ist, was Sie da sagen!]

– Na ja, nun macht es uns nicht unglücklich, lieber Herr Schäfer, dass vieles von dem, was die Linke in den letzten Jahren in Berlin politisch vertreten und umgesetzt hat, in der Stadt inzwischen von so breiten Mehrheiten getragen wird,

[Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

dass selbst die CDU ihre frühere Kritik kleinlaut einkassieren musste. Ich denke da an das Unterrichtsfach Ethik, das von der CDU jahrelang ideologisch bekämpft worden ist,

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Hat Schneider gar nicht mitgekriegt!]

oder die unter Rot-Rot beschlossene Schulstrukturreform, die mit der Einführung der Gemeinschafts- und Sekundarschule und der gleichzeitigen Abschaffung der Haupt- und Realschulen den Ausstieg aus dem selektiven und unsozialen Schulsystem in die Wege geleitet hat.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Gegen welchen Widerstand!]

Die wird mittlerweile breit akzeptiert. Da werden wir allerdings aufpassen müssen, dass diese Reform auch erfolgreich umgesetzt wird.

Herr Regierender Bürgermeister! Sie sagen, Sekundarschulen und Gymnasien werden gleich behandelt. Allein, uns fehlt der Glaube.

[Torsten Schneider (SPD): Sie sind doch gar nicht für Glauben zuständig!]

In den Richtlinien zur Regierungspolitik, die Sie uns vorgelegt haben, steht ein anderer Satz. Wir wollen nicht, dass Gymnasien bevorzugt werden, wie es darin intendiert wird. Das würde nämlich bedeuten, dass ein Teil der Sekundarschulen dann wieder zur Restschule würde und damit die neuen Chancen, die gerade Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien bekommen haben, wieder zunichte gemacht würden. Zur weiteren Unterstützung von Gemeinschaftsschulen findet sich in Ihren Richtlinien bedauerlicherweise gar nichts. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden weiter für die Gemeinschaftsschulen kämpfen.

[Beifall bei der LINKEN]


Auch in der Wirtschaftspolitik – Schaufenster Elektromobilität, Masterplan Industrie, Zukunftsorte

und Entwicklung Tegel – finden sich alles Dinge, die schon unter Rot-Rot Produktionsreife erlangt hatten. Sie werden künftig sicher nicht daran vorbeikommen, dass es ein linker Senator gewesen ist, der die Stadt in den vergangenen zehn Jahren wirtschaftspolitisch gut aufgestellt hat.

[Beifall bei der LINKEN]

Kurz vor Weihnachten hat Berlin Partner ihre erfolgreiche Ansiedlungsbilanz präsentiert. Das ist auch ein Verdienst von Harald Wolf.

[Beifall bei der LINKEN]

Rot-rote Wirtschaftspolitik konsequent ausgerichtet auf Zukunftsfelder hat für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung gesorgt. Jetzt, Herr Schäfer, setzt die Kritik ein: Nicht, dass Rot- Schwarz das fortsetzen will, sondern dass sie sich keine Ziele dabei setzen. Nicht ohne Grund haben wir im Wahlkampf von 150 000 neuen Arbeitsplätzen gesprochen, die in den kommenden Jahren entstehen können. Bei der neuen Koalition dagegen gibt es keine Zielvorgabe. Es fällt schon auf, dass SPD und CDU an vielen Stellen so vage bleiben. Ich kann es nur wiederholen: Sie wollen offensichtlich gar nichts neues oder eigenes ausprobieren.

Besonders dort, wo jetzt Weichenstellungen nötig sind, heißt es bei Ihnen: prüfen, prüfen, prüfen. Ein Prüfauftrag ist in Koalitionsverträgen der Tod des Machbaren. Allein in den sechs kurzen Absätzen zur öffentlichen Daseinsvorsorge taucht das Wort dreimal auf. Wir brauchen jetzt aber Entscheidungen. Es geht darum, was man künftig für Strom, Fernwärme und Wasser zahlen muss. Als das Bundeskartellamt die Wasserbetriebe wegen überhöhter Preise abgemahnt hat, haben Sie nicht gesagt, welchen Weg Sie gehen wollen. Die Aussagen des Koalitionsvertrages zu den Berliner Wasserbetrieben sind auch vage und unkonkret. Ich fürchte, dass Sie den Druck des Kartellamtes nicht an die Privaten weitergeben werden, ich fürchte, dass die Rekommunalisierung der privaten Anteile den schleichenden Tod durch Prüfauftrag stirbt. Und was das Allerschlimmste ist: Die durch das Kartellamt erzwungene Preissenkung wird von Ihnen vermutlich einseitig auf Kosten der Steuerzahlerinnen und -zahler umgesetzt. Das ist ein Skandal!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Die Netzkonzessionen von Gas beziehungsweise Strom und Fernwärme laufen 2013 beziehungsweise 2014 aus. Deshalb sind zügige Entscheidungen notwendig. Um einen ökologischen Umbau der Energieversorgung voran zu bringen, muss die Entwicklung dieser Netze politisch gesteuert werden. Das kann aber nur geschehen, wenn das Land Berlin diese Netze betreibt. Die Entscheidung von SPD und CDU, keine Entscheidung zu treffen, lässt nur den Schluss zu: Es soll vertagt werden, bis es zu spät ist, um eine kommunale Netzgesellschaft zu gründen. Dann werden die bisherigen Betreiber wieder zum Zug kommen. Im Fall des Strom- und Fernwärmenetzes wird dies Vattenfall sein. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: mit fossilen Großkraftwerken über Jahre weitere riesige Gewinne an den Großkonzern. Ökologischer Umbau und Energiewende sehen anders aus.

[Beifall bei der LINKEN]

Die Gründung eines kommunalen Energieversorgers Berlin Energie wird – Sie ahnen es – geprüft. Dabei sind die Vorarbeiten zum unmittelbaren Start bereits erledigt.

Und dann noch das alte Thema S-Bahn. Das Kaputtsparen der Berliner S-Bahn mit den negativen Folgen für die Fahrgäste und die Mitarbeiter hat bei der Koalition nicht zu der Einsicht geführt, dass die Profitorientierung im Bereich der öffentlichen Verkehre zu schlechten Leistungen führt. Da braucht man nicht mehr viel zu prüfen. Wir benötigen kommunale Verantwortung für die S-Bahn.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Andreas Baum (PIRATEN)]

Herr Wowereit! Mit einem einfachen Gespräch mit Herrn Grube kommen Sie nicht heraus aus der Nummer. Das klingt ja gerade so, als hätten Sie sich eine bestellte Absage abholen wollen,

[Uwe Doering (LINKE): Genau!]

nur um den falschen Weg der Teilausschreibung zu rechtfertigen.

[Beifall bei der LINKEN]

Liebe Grüne! Die In-House-Direktvergabe an einen kommunalen Träger ist möglich, das ist auch unumstritten. Das kann man machen.

[Joachim Esser (GRÜNE): Ist es nicht!]

– Das sehen wir anders, Herr Esser. – Wir haben erst kürzlich hier im Haus darüber diskutiert. Mit Ihren Richtlinien erfahren die Berlinerinnen und Berliner lediglich, dass neue, zusätzliche S- Bahnwagen bestellt werden müssen, die das Land irgendwann vielleicht kaufen kann. Na bravo! Das nennt man Stagnation auf niedrigem Niveau. Da war die SPD auch schon einmal weiter.

Ich gebe zu: In Sachen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik habe ich keine große Hoffnung, wenn überzeugte Hartz-IV-Parteien miteinander reagieren. Jetzt sagt der Regierende Bürgermeister, Mietenpolitik werde ein Schwerpunkt dieser neuen Koalition. Aufgewacht, die Sonne lacht!

[Beifall bei der LINKEN]

Berlin hat längst einen angespannten Wohnungsmarkt. Verdrängung findet statt. Als wir 2008 darauf hingewiesen haben, hat die SPD das geleugnet. Alle Versuche, hier etwas auf die Reihe zu bekommen, sind im Senat durch das Stadtentwicklungsressort blockiert worden. 2011 und heute wieder hat sich der Regierende Bürgermeister diesen sozialen Missstand als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs schöngeredet. In Ihren Leitlinien heißt es nur lapidar: Berlin wächst und benötigt zusätzlichen Wohnraum. – Das weiß jeder. Von bezahlbar ist da aber nicht die Rede. Die Mietenproblematik wird aber die Frage sein, an der sich entscheidet, wohin sich Berlin entwickelt. Berlin braucht zweifellos und dringend eine wohnungspolitische Strategie, die bezahlbare Mieten und eine soziale Mischung in allen Teilen der Stadt sichert. Selbstverständlich ist das eine der zentralen Aufgaben dieser Legislaturperiode. Schön, dass Sie das jetzt endlich einsehen.

[Beifall bei der LINKEN]

Aber was tun Sie? Der Beschluss, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in Zukunft bei den Miethöhen stärker differenzieren können, darf nicht zu einer zusätzlichen Beschleunigung der Mietsteigerungen führen. Er muss vielmehr genutzt werden, Wohnungen mit günstigen Mieten in allen Quartieren zur Verfügung zu stellen. Die Verlautbarungen der Koalition lassen aber vermuten, dass es weniger um eine sozial ausgleichende Querfinanzierung gehen soll, sondern vielmehr um eine Verbesserung der finanziellen Situationen der Wohnungsbaugesellschaften. Die Folge wäre eine noch schnelle Mietpreissteigerung in stark nachgefragten Kiezen und Stadtteilen. Ein wenig Hoffnung gibt da die Ankündigung von Michael Müller, den Wohnungsgesellschaften ihre Mieterhöhungsersuchen nicht so einfach durchgehen zu lassen.

[Beifall bei der LINKEN]

Aber was sagt Herr Nußbaum dazu? – Wieder soll nur ein Zweckentfremdungsverbot geprüft werden. Die Bezirke bleiben also weiter auf sich allein gestellt und müssen mit Hilfskonstruktionen, zum Beispiel mit dem Gewerberecht, gegen die Umwidmung von Wohnraum in Ferienwohnungen vorgehen. Doch um das Angebot an bezahlbaren Mietwohnungen nicht weiter zu verknappen, müssen Umwandlungen in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden. Die Kündigungsfristen sind auf zehn Jahre zu verlängern. Auch hierzu hat die neue Koalition nichts vereinbart. Ein Konzept in Wohnungsfragen haben Sie nicht.

[Beifall bei der LINKEN – Torsten Schneider (SPD): Aber Sie!]

Seit Anfang2009 haben wir, Die Linke, mit unserem damaligen sozialdemokratischen Koalitionspartner darüber gestritten, dass die Kostensätze für Wohnraum von Menschen, die Hartz IV oder Grundsicherung im Alter beziehen, angepasst und heraufgesetzt werden müssen. Die SPD wollte eine Anpassung, die bereits vom Landessozialgericht angemahnt worden ist, nicht mittragen. – Herr Czaja, das müssten Sie eigentlich wissen! – Er ist auch nicht da. Die fehlen alle bei der Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters. Sapperlot! – Aber Herr Czaja müsste auch wissen: In der Regierungsrichtlinie von SPD und CDU ist zur notwendigen Anpassung der Kosten der Unterkunft nichts zu finden. Im Koalitionsvertrag wird sogar angedroht, den Druck auf die Leistungsbeziehenden noch zu erhöhen, als hätten die Menschen nicht schon genug Druck.

[Uwe Doering (LINKE): Genauso ist es!]

Wenn Sie hier nicht zur Vernunft kommen, werden in Zukunft noch mehr sozial Bedürftige aus ihren Wohnungen und Kiezen gezwungen, werden noch mehr Klagen beim Sozialgericht landen. Zwangsumzüge werden auch dazu führen, dass es zu einem starken Anstieg von Neuvermietungen kommt. Das hat Wirkungen auf den Mietspiegel. So wird das gesamte Mietniveau in der Stadt nach oben getrieben. – Herr Wowereit! Sorgen Sie für eine Rechtsverordnung „Wohnen“, die Zwangsumzüge wirklich verhindert. Wenn Sie das nicht hinkriegen, gefährden Sie massiv den sozialen Zusammenhalt der Stadt.

[Beifall bei der LINKEN]

Der Weiterbau der A 100 ist von SPD und CDU politisch gewollt. Diese scheinbar einfache Entscheidung wird aber kein sinnvolles Verkehrskonzept für den Berliner Südosten ersetzen können. Die Linke lehnt den Weiterbau der A 100 aus verkehrs-, finanz- und stadtentwicklungspolitischen Gründen ab. Das augenscheinlich von der CDU durchgesetzte Bekenntnis zum weiterführenden 17. Bauabschnitt erscheint allein vor dem Hintergrund der immensen Kosten als – ich formuliere es vorsichtig – Fieberfantasie.

Die Vereinbarungen zum Lärmschutz am künftigen Flughafen BBI sind so nichtssagend, dass man auf sie auch hätte verzichten können. Warum gehen Sie nicht mit dem mit, was das Bundesumweltamt vorschlägt? Schützen Sie die Berlinerinnen und Berliner am Wannsee und am Müggelsee vor dem Fluglärm! Wir, Die Linke, setzen uns weiter für Lärmschutz und für ein konsequentes Nachtflugverbot ein.

[Beifall bei der LINKEN]

Rot-schwarzer Stillstand droht Berlin jetzt auch in der Wissenschaftspolitik. Mit der Trennung der Bereiche Wissenschaft und Forschung haben Sie sich ein Ding geleistet. So etwas gibt es nirgends sonst in dieser Republik. Die Aufteilung der politischen Verantwortung für Wissenschaft und Forschung in unterschiedliche Senatsverwaltungen ist einfach Quatsch.

[Beifall bei der LINKEN]

Sie wollen mit dem Bund ein Modell für zielgerichtete und konzentrierte Förderung der Spitzenforschung errichten. Welche der Senatorinnen wollen Sie denn zu den Verhandlungen fahren lassen? Wer ist denn dafür zuständig? Die Wissenschaftssenatorin, die Wirtschaftssenatorin, oder sind jetzt immer alle beide unterwegs? Sie können ja wegbleiben. Es sind ja genügend Staatssekretäre da, die die Arbeit machen. Sie haben mit dieser einzig dem machtpolitischen Proporz innerhalb des Senats geschuldeten Entscheidung der Wissenschaftspolitik in dieser Stadt einen Bärendienst erwiesen. Machen Sie diesen Unsinn einfach rückgängig!

[Beifall bei der LINKEN]

Ansonsten schreiben Sie mangels eigener Akzente wenigstens die bisherige Politik – das ist schon angesprochen worden – mit der Fortsetzung des Hochschulpaktes und der Schaffung weiterer Studienplätze, die dringend notwendig sind, fort. Dass es auch weiterhin keine Studiengebühren in dieser Stadt geben wird, ist gut und zeigt: Die Linke wirkt auch hier nach.

[Lars Oberg (SPD): Das mussten wir nicht von Ihnen lernen!]

Sie haben kein tragfähiges Konzept für den öffentlichen Dienst und die dort Beschäftigten vorgelegt. Seit Jahren fordert Die Linke, dass der Einstellungskorridor zu verbreitern ist. Es muss dringend etwas gegen die Überalterung des öffentlichen Dienstes getan werden. Die Bezirke brauchen dringend mehr Personal. Bereits jetzt kommt es zu personellen Engpässen in den Bürgerbüros und zu unzumutbar langen Bearbeitungszeiten, beispielsweise bei Wohngeldbewilligungen, aber auch in vielen anderen Leistungsbereichen.

Was die Polizei betrifft, Herr Henkel: Sie können sich gern für die 50 zusätzlichen Beamten feiern. Wir hatten 2011 noch 200, Sie haben jetzt 50 – die Berliner CDU hat es echt drauf.

[Beifall bei der LINKEN]

Die positive Entwicklung der Berliner Polizei hin zu Bürgerfreundlichkeit und absoluter Rechtstaatlichkeit ist das Entscheidende, und die darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Oberstes Ziel muss die Grundrechtswahrung und die Sicherheit aller Menschen in Berlin bleiben.

Beim Thema innere Sicherheit sieht man aber schon das schleichende Gift der Reideologisierung der Innenpolitik durch die Regierungsbeteiligung der CDU. Im Koalitionsvertrag steht unter der Überschrift Extremismusbekämpfung ein Satz zur NPD und ein ganzer Absatz zur Bekämpfung des Linksextremismus. Lieber Herr Saleh! Meine Damen und Herren! Und das geschieht, nachdem ein Großteil der angeblich linksextremistisch motivierten Autobrände nachweislich von völlig unpolitischen Einzeltätern begangen wurde. Aus politisch-ideologischer Blindheit wird ein handfester politischer Skandal, wenn Tag für Tag Neues über ein rechtsextremes Terrornetzwerk und die Verstrickung verschiedener Verfassungsschutzbehörden anderer Länder ans Licht kommt. Da geht es um eine unglaubliche Mordserie, und Sie blasen zum Kampf gegen den Linksextremismus mit einer verquasten Extremismusklausel und pseudowissenschaftlicher Begleitung. Das ist so absurd und abseitig, dass man nur sagen kann, liebe SPD: Machen Sie diesen skandalösen Blödsinn nicht mit!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Weil wir gerade beim Thema Inneres und Demokratie sind: Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist wohl mit dieser Koalition bis auf Weiteres gestorben. Oder nicht? Will die SPD – Herr Saleh, ich nehme Ihr Angebot gern auf – die SPD ihr Wahlprogramm in diesem Punkt doch endlich einmal durchsetzen? Ich bin mir sicher: Mit den Grünen, den Piraten, und mit uns, der Linken, dürfte das klappen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Nicole Ludwig (GRÜNE)]

Es wird Sie nicht wundern, wenn ich zum Schluss noch etwas intensiver auf die Arbeitsmarktpolitik der rot-schwarzen Koalition eingehe, insbesondere, was Fragen wie Langzeitarbeitslosigkeit und Mindestlohn betrifft. Dass der Regierende davon wenig Ahnung hat, weiß ich schon seit mindestens drei Jahren. Aber das, was ich von Ihnen, Frau Kolat, in den letzten Tagen zur Arbeitsmarktpolitik gehört und gelesen habe, zieht mir die Schuhe aus. Das ist ein politisches Armutszeugnis.

[Beifall bei der LINKEN]

Was will denn die SPD? Will sie doch etwas für Langzeitarbeitslose tun, den ÖBS doch nicht abschaffen, sondern ihn nur in ÖGB oder BerlinArbeit umbenennen, in der Hoffnung, dass es dem Koalitionspartner nicht auffällt – Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix –, obwohl der doch eigentlich alles mitmacht? Warum, Frau Kolat, sagen Sie nicht einfach, dass öffentlich geförderte Beschäftigung zu existenzsichernden Bedingungen ein gute Sache ist?

[Beifall bei der LINKEN]

Der Name „öffentlich geförderter Beschäftigungssektor“ war zugegebenermaßen unter werblichen Gesichtspunkten ein bisschen sperrig, aber das ist nicht der Punkt, sondern die Frage des Mindestlohns, denn den lehnen Sie bei öffentlich geförderter Beschäftigung ab. Sie wollen Langzeitarbeitslose für sinnvolle Arbeit im Gemeinwesen nicht existenzsichernd bezahlen, dass sie endlich unabhängig werden von Hartz IV. Sie wollen nur noch zu Konditionen von Bürgerarbeit zahlen. Sie sorgen dafür, dass die Menschen wieder abhängig sind und das Amt wieder die Miete zahlt. Das fördert Niedriglöhne, und genau das versuchen Sie hinter den merkwürdigen Formulierungen zu verstecken. Das ist unsozial und darüber hinaus haushaltspolitisch nicht besonders schlau.

[Beifall bei der LINKEN]

Liebe SPD! Wer Mindestlohn richtig findet, der muss ihn auch für öffentlich geförderte Arbeit zahlen.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich möchte hier nicht alles aufzählen, wie sich diese Stadt in den letzten Jahren nachhaltig verändert hat, aber ich bin natürlich in Sorge, dass die bundesweite Vorreiterposition Berlins, zum Beispiel in der Gleichstellungs-, Partizipations- und Antidiskriminierungspolitik, eingebüßt wird. – Seien Sie, Herr Regierender Bürgermeister, sicher: Wir werden Ihnen und Ihrer Regierungsmannschaft den Spiegel vorhalten. Wir werden daran erinnern, wo die SPD in den vergangenen Jahren Entscheidungen blockiert hat und diese jetzt aussitzt. Wir werden genau hinschauen, was mit der S- Bahn geschieht, mit den Wasserbetrieben, mit den Mieten und in den Bezirken. Berlin steht nicht nur im Sozialbereich vor einer Reihe schwieriger Auseinandersetzungen. In Kürze beginnen die Haushaltsberatungen. Da wir manches, was Sie hier versprochen haben, ganz besonders Ihre teuren Betonlieblingsprojekte, in anderem Licht erscheinen.

Als starke Kraft in der Opposition werden wir der Stadt unsere Alternativen präsentieren. Sie brauchen ganz sicher Druck von links. Den werden Sie bekommen.

[Beifall bei der LINKEN]

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