Tegel schließen - für ein lebenswertes Berlin

Udo Wolf

Wir wollen, dass Tegel geschlossen wird, wenn der BER in Betrieb ist. Dass die Argumente der Tegel-Befürworter FDP und AFD von gestern sind, hat Udo Wolf in seiner Rede im Abgeordnetenhaus klar gemacht.

Rede als Video

12. Sitzung, 23. Juni 2017

Aktuelle Stunde

„Stellungnahme des Abgeordnetenhauses zum Volksentscheid Tegel“

Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen

Aus dem Wortprotokoll:

Udo Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die etwas Älteren unter uns hat das alles ein bisschen was von einem Déjà-vu. Es sind noch keine zehn Jahre her, da wurde hier an dieser Stelle schon einmal über die Offenhaltung eines innerstädtischen Flughafens diskutiert.

Damals ging es um den Flughafen Tempelhof. Schon damals wurde versucht, mit einer Mischung aus Fake-News und Westberliner Nostalgie Stimmung zu machen. Die ganze Kampagne damals, das wissen Sie ganz genau, war von keinem anderen Interesse geleitet, von keinem anderen Motiv getrieben, als parteipolitische Spielchen zu spielen. Die Rede von Herrn Evers und auch das, was wir gerade gehört haben, zeigen es noch einmal deutlich: Das war damals intellektuell unterirdisch, und das ist es heute genauso.

Erinnert sich hier eigentlich noch jemand an einen gewissen Herrn Pflüger? – Das war einer Ihrer Amtsvorgänger, Herr Graf. Der hat damals die steile These aufgestellt, dass Berlin nur eine Zukunft haben kann, wenn im Herzen der Stadt mit Tempelhof ein Verkehrsflughafen betrieben würde. Geschäftsleute würden Berlin meiden, wenn Tempelhof schließt. Der Wirtschaftsstandort Berlin sei in großer Gefahr. Ein gewisser Dr. Lindner, einer Ihrer Vorgänger, Herr Czaja, behauptete damals, so wie Sie heute oder auch mein begnadeter Vorredner, dass man das juristisch alles hinbekommen könne, wenn man nur ganz fest wolle. Nach dem Motto: zwei Juristen, drei Meinungen – findet man immer irgendeinen Juristen, der die eigene Meinung bestätigt.

Auf den kann man sich dann immer und immer wieder berufen, ganz egal, was ein Dutzend anderer Fachleute dazu sagt. Realitäten schaffen durch Autosuggestion. Man muss nur fest daran glauben, dann wird das schon.

Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel, warum das gnadenloser Unsinn ist. Der Widerruf des Widerrufs der Betriebsgenehmigung führt bestenfalls zu einem neuen Genehmigungsverfahren, allerdings nach heutigem Recht und nicht nach Alliiertenrecht wie zu Mauerzeiten. Nach heutigem Recht, da sind sich nahezu alle Expertinnen und Experten einig, würde ein innerstädtischer Flughafen wie Tegel nicht mehr genehmigt werden, und das ist auch gut so.

Es gibt noch viele andere Parallelen zur damaligen Debatte. Damals legten die Befürworter der Offenhaltung von Tempelhof ein windiges Konzept nach dem anderen auf den Tisch – zum Beispiel ein Krankenhaus mit Flughafenanschluss für die reiche Kundschaft aus den Arabischen Emiraten. Das war ein Lieblingsthema von Herrn Pflüger und so albern. Jetzt macht Herr Evers – in der Welt angekommen; eben wurde damit ja auch herumgewedelt – Werbung für ein Gutachten von Ryanair und für die Geschäftsinteressen von Ryanair. Ich bitte Sie! Da wurde interessengeleitet, das ist doch so einfach wie nachvollziehbar, von Ryanair mit falschen Zahlen gerechnet. Das ist alles Voodoo. Die Berlinerinnen und Berliner sollen am Ende die Risiken tragen, während die Privaten die Gewinne machen. Nicht mit uns, Herr Evers!

Immerhin haben CDU und FPD damals bei der Debatte zu Tempelhof noch zugegeben, dass ein Flugbetrieb in Tempelhof defizitär wäre. Heute dagegen nehmen die Wirtschaftsexperten, also diese Helden der Zukunft von FDP und AfD, einfach mal das aktuelle Betriebsergebnis und sagen: Oh, TXL macht ja Gewinn! –  Dass TXL aber nur deshalb Gewinn macht, weil hier nicht mehr richtig investiert wird, weil es keine Ausgaben für Lärmschutz gibt und weil auf der anderen Seite hier noch der Flugverkehr ist, der dann zum BER geht, das wird einfach ignoriert. Dass darüber hinaus ein Doppelbetrieb von Tegel und BER für die Flughafengesellschaft dauerhaft unwirtschaftlich sein muss, interessiert AfD und FDP nicht.

Was FDP und der Rest der Opposition hier abziehen, ist so bodenlos unseriös, dass es schon gefährlich ist. Wenn Politik nur noch nach kurzfristigem Effekt, nach Umfragezahlen Emotionen und parteipolitischer Profilierung schielt, aber nicht mehr die Sache selbst in den Mittelpunkt stellt und prüft, wird absehbar die Politikverdrossenheit nur noch größer. Dieses Hantieren mit Halb-, Schein- und Unwahrheiten, mit diesem Populismus tragen Sie doch die Verantwortung für ein politisches Klima, in dem gefühltes Wissen gegen Fakten steht.

– Herr Pazderski! Wenn Sie das nicht verstehen, was ich sage, kann ich Ihnen leider nicht helfen. Das liegt an Ihrem intellektuellen Niveau.

[
[Georg Pazderski (AfD): Ich kann Ihnen intellektuell nicht folgen!]

Das Ergebnis dieses politischen Stils, Herr Czaja, Herr Graf, sitzt jetzt neben Ihnen. Und da ist es eben auch gar kein Wunder, dass sich diese AfD, der rechte Stammtisch der politischen Fake-News und gefühlten Wahrheiten, ganz schnell der Kampagne der Offenhaltung von Tegel angeschlossen hat.

Aber was soll ich sagen? So wie die bürgerlichen Parteien in Berlin tagtäglich versuchen, ihr eigenes Niveau zu unterbieten, so machen auch manche – zum Glück nur eine kleine radikale Minderheit – der Berliner Journalisten mit bei der Konstruktion gefühlten Wissens und sagen wir mal alternativen Wahrheiten.

Zur Klarstellung: Liebe „BZ“-Leserinnen und Leser! Es ist weder unfair noch Ungleichbehandlung, wenn Senat und Abgeordnetenhaus ihre Position zum Volksbegehren bestimmen. Das ist Verfassungsauftrag. Dann diese künstliche Aufregung darüber, dass der Senat angeblich schon vorab erklärt hat, dass er den Volksentscheid ignorieren will, auch wenn dieser erfolgreich sein sollte. Das ist schlicht die Unwahrheit. Auch das haben Sie nicht verstanden. Kein Senat kann einen Volksentscheid einfach ignorieren.

Aber worüber wird denn am 24. September wirklich abgestimmt? – Der Satz lautet schlicht, ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: Der Berliner Senat wird aufgefordert, sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und alle Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern!

Großartig!

Genauso gut könnte man auch darüber abstimmen, dass der Senat dafür sorgen soll, dass am Wochenende immer schönes Wetter ist. Denn darüber, wie Ihr Anliegen wenigstens theoretisch umgesetzt werden kann, gibt es keinen ernstzunehmenden Vorschlag. Weil Sie erst recht keinen seriösen Plan haben, wie das in der Praxis zu bewerkstelligen wäre, lassen Sie die Berlinerinnen und Berliner nicht über einen Gesetzentwurf abstimmen, das, was Sie hier abspielen, ist eben nichts anderes als eine Politscharade, Herr Evers, weil Sie wissen, dass Berlin gar nicht einseitig über die Offenhaltung von Tegel entscheiden kann, weil Sie wissen, welche Klage- und Finanzrisiken auf das Land zukämen. Deshalb kommen uns FDP und AfD mit einem solchen lapidaren Satz.

Sie lassen die Berlinerinnen und Berliner über eine Bemühenszusage abstimmen, wohl wissend, dass die Spielräume des Senats, egal wie der Volksentscheid ausgeht, Tegel als Flughafen offenzuhalten gegen Null tendiert. Die Spielräume des Senats, und zwar egal, wie sehr sich der Senat bemühen würde, weil der Senat das gar nicht allein entscheiden kann. Das ist die Faktenlage.

Das zu sagen, auch wenn die Umfragen gegen einen stehen, das ist einfach nur ehrlich und verantwortungsbewusste Politik. Sie werden nicht erleben, dass wir die Wählerinnen und Wähler anlügen und behaupten, wir könnten hier mit ihrem Votum mehr als eine Bemühenszusage erreichen. Nein, wir werden die Wählerinnen und Wähler nicht anlügen und gegen unsere Überzeugung und wider besseres Wissen so tun, als wäre die Offenhaltung Tegels sinnvoll. Wir streiten für die Schließung von Tegel nach Inbetriebnahme des BER nicht nur, weil wir es aufgrund der juristischen Situation tun müssen, wir streiten als Koalition in der Sache, weil eine Offenhaltung Tegels stadtentwicklungspolitisch, wohnungspolitisch, wirtschaftspolitisch, sicherheitspolitisch, verkehrspolitisch, finanzpolitisch und umweltpolitisch falsch ist.

Der Flughafen Tegel wurde gebaut, als Westberlin gar keine andere Wahl hatte, als ihn quasi mitten in der Stadt zu errichten. – Genau, Sie haben es erkannt! – Mit dem Fall der Mauer gab es für Berlin die Möglichkeit, den Flugverkehr aus der Stadt an ihren Rand zu verlagern. Es gibt keinen plausiblen Grund, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Hätte man diese Verlagerung damals schon konsequent gemacht, dann hätten wir heute am BER weniger Probleme – dank Eberhard Diepgen, der das damals mit dem Standort durchgesetzt hat. Aber gut, das ist vergossene Milch, ebenso wie sich an dieser Stelle noch einmal lang und breit über den BER aufzuregen. Ja, das Thema BER ist kein Ruhmesblatt. Und ich verstehe alle, die davon genervt sind. Wer ist das nicht? Ganz zweifellos ist diese ganz neue große Beliebtheit von Tegel nicht zuletzt den schlechten Nachrichten vom BER geschuldet. Aber das ist doch kein Grund, den Quatsch noch quätscher zu machen mit der Offenhaltung von Tegel!

Es wurde schon mehrfach gesagt, Tegel offenzuhalten bedeutet, 300 000 Menschen weiter in Fluglärm und dem Risiko einer Flugzeugkatastrophe auszusetzen. Tegel offenzuhalten bedeutet, sehenden Auges hohe juristische und finanzielle Risiken einzugehen und damit den Betrieb des BER zu gefährden. Vor allem aber bedeutet Tegel offenzuhalten, ein riesiges innerstädtisches Areal dauerhaft zu blockieren, das wir für die Entwicklung unserer wachsenden Stadt dringend benötigen. Tegel offenhalten bedeutet also auch, Zukunftschancen zu blockieren. Das ist in hohem Maße verantwortungslos.

Mit der Schließung Tegels gewinnt Berlin Flächen für den Wohnungsbau, für Wissenschaft und Forschung, die dringend benötigt werden. Berlin gewinnt auch – das ist auch schon gesagt worden – neue Erholungsräume, Platz für neues Grün, das wir genauso brauchen.

Nein, Berlin verliert nichts bei einer Verlagerung des Flugverkehrs aus der Stadt an den südlichen Stadtrand.

Ja, wir wissen, es gibt auch dort viele Menschen, die den Fluglärm am künftigen BER fürchten. Deshalb setzen wir uns auch dort für ein Höchstmaß an Lärmschutz ein. Es kann ja sein, dass einigen Menschen die Hoffnung haben, dass bei einer Offenhaltung von Tegel es bei ihnen im Süden weniger laut wird, aber das gehört eben auch zur Wahrheit: Wenn Tegel offen bliebe, dann wäre eben auch dadurch die Tür für Klagen gegen das Planfeststellungsverfahren in Schönefeld offen.

Dann gefährdet das nicht nur die Betriebsgenehmigung für den BER, sondern das bedeutet eben auch, dass die jetzige Nachtflugerlaubnis in Schönefeld-Alt bis auf Weiteres erhalten bleibt, und zwar rund um die Uhr, die ganze Nacht und dann vermutlich deutlich mehr als heute. Also auch da gewinnen die Menschen nichts, sondern würden bei einer Offenhaltung Tegels verlieren.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Kollege! Sie müssen jetzt zum Ende kommen.

Udo Wolf (LINKE):

Ich komme zum Schluss.

Herr Graf! Sie waren bis vor Kurzem noch Fraktionsvorsitzender einer Regierungsfraktion. Als solcher waren Sie noch Verfechter eines lang und breit entwickelten Nachnutzungskonzepts für Tegel. Machen Sie es nicht wie Herr Evers! Wechseln Sie Ihre Haltung in der Sache nicht wie ein Wendehals nach Regierungswechsel und Umfragewerten!

Sie wissen, es gibt in der Sache keinen vernünftigen Grund, Tegel offenzuhalten. Deshalb werben wir wie auch IHK, Handwerkskammer, die Gewerkschaften, Umwelt-, Verkehrs-, Mieterorganisationen und Anwohnerinitiativen für die Schließung von Tegel nach Inbetriebnahme des BER. Lieben CDU! Machen Sie sich ehrlich!

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