Eine versuchte Tempelhof-Besetzung
und die Zukunft der Deeskalationsstrategie der Berliner Polizei

Udo Wolf

Das Vorgehen der Polizei bei der versuchten Besetzung des Flughafens Tempelhof gibt Anlass zur Sorge

Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin, Marion Seelig und Udo Wolf, informieren:

Mit der Anwendung der sogenannten Deeskalationsstrategie der Berliner Polizei hat die rot-rote Koalition in den letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielt. Die zentralen Elemente dieser Strategie sind ein offenes, bürgernahes und zurückhaltendes Auftreten bei politischen Demonstrationen und der Dialog mit der Zivilgesellschaft im Vorfeld solcher Veranstaltungen. Deeskalation bedeutet aber nicht die Duldung von Gewalt und Straftaten auf politischen Demonstrationen. Teil der Strategie ist auch, dass, im Falle von begangenen Straftaten wie etwa Stein- und Flaschenwürfen, einzelne Täter beweissicher festgenommen und vor Gericht gestellt werden. Mit dieser Strategie konnten gewalttätige Auseinandersetzungen auf Demonstrationen, insbesondere auf den jährlichen Kundgebungen zum 1. Mai, erheblich reduziert werden. Das Vorgehen der Polizei bei der versuchten Besetzung des Flughafens Tempelhof gibt uns aber leider Anlass zur Sorge um die bislang so erfolgreiche Deeskalationsstrategie.

Kritik am Polizeieinsatz bei der versuchten Tempelhof-Besetzung

Aus unserer Sicht ist der Polizeieinsatz am 20. Juni 2009 in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren:

  • Das massive Auftreten der Polizei in voller Kampfmontur mit Helmen und geschlossenem Visier sowie das Auffahren von Wasserwerfern und Räumpanzern sorgte von vornherein für eine aggressive Grundstimmung;
  • Es gibt viele Hinweise darauf, dass gegen viele Teilnehmer der Demonstrationen unverhältnismäßige Gewalt angewendet und dabei auch Mittel wie Schlagstock oder Pfefferspray eingesetzt wurde;
  • Es gab im Rahmen der versuchten Besetzung unzählige Festnahmen, bei denen es sich nicht um konkrete Straftäter handelte, teilweise wurden auch ganze Gruppen von Menschen festgenommen (wie die »Clowns-Armee«).
  • Wie Bildern und Berichten verschiedener Medien zu entnehmen war, hat ein Polizist bei der Festnahme eines Demonstranten die Dienstwaffe gezogen. Wir halten dies für extrem überzogen und gefährlich. Der Gebrauch der Dienstwaffe darf nur als allerletztes Mittel zur Verteidigung des eigenen Lebens zulässig sein.

Nach diesen Ereignissen haben uns viele Zuschriften von betroffenen und besorgten Bürgern erreicht. Auch wir sehen das Vorgehen der Polizeikräfte im Rahmen der versuchten Tempelhof-Besetzung mit großer Sorge. Die politische Nachbereitung dieses Ereignisses hat schon begonnen und wir fordern eine umfassende Aufklärung der Vorfälle.

Dass es zum Versuch der Besetzung des Flughafengeländes gekommen ist, ist natürlich nicht nur ein polizeiliches Problem. DIE LINKE war von Anfang an für frühe Öffnung des Geländes für alle Berlinerinnen und Berliner und wir bedauern außerordentlich, dass dies bislang noch nicht geschehen konnte. Insofern haben wir auch die friedliche Demonstration der Initiative für eine breite öffentliche Nutzung des Geländes unterstützt (s.a. Presseerklärung des Landesvorsitzenden Klaus Lederer vom 19.6.2009: »Wir bleiben dabei: Tempelhof für alle!«).

Festhalten an der Deeskalationsstrategie

Wie geht es nun weiter? Sowohl in direkten Gesprächen mit Innensenator Körting und der Polizeiführung als auch bei den öffentlichen Diskussionen im Abgeordnetenhaus drängen wir immer wieder darauf, dass die Berliner Polizei nicht vom Weg hin zu einer bürgernahen und liberalen Hauptstadtpolizei abkommt. Wir wollen nicht, dass dem Druck aus dem konservativen Lager und von Seiten der Springer-Presse, die den legitimen Protest der Bürger am liebsten mit dem Knüppel beantworten wollen, nachgegeben wird. Auch Innensenator Körting und Teile der SPD scheinen sich im Moment von der öffentlichen Stimmung beeinflussen zu lassen. Allerdings macht die Serie von Brandanschlägen und Straftaten im Rahmen der action weeks eine sachliche Diskussion nicht gerade leichter. Solche Taten liefern den Gegnern der Deeskalationsstrategie immer wieder Argumente und bringen DIE LINKE in die Situation, ihre Ziele verteidigen zu müssen. Trotzdem die Auseinandersetzung mit dem Innensenator und dem Koalitionspartner härter geworden ist, setzen wir uns weiterhin vehement für das Festhalten an der Deeskalationsstrategie ein.

Einführung der individuellen Kennzeichnung

Weiterhin fordern wir nach wie vor die Einführung einer individuellen Kennzeichnung auf den Uniformen der Polizeibeamtinnen und Beamten. Hier haben wir gegen die Widerstände der Gewerkschaft der Polizei und Teilen der SPD den Kompromiss durchgesetzt, dass die Kennzeichnung mit der Umstellung auf die neuen blauen Uniformen eingeführt wird. Dieser Prozess wird leider noch einige Zeit dauern, da die Umstellung nur schleppend beginnt und sukzessive umgesetzt wird. Wir setzen uns auch weiterhin dafür ein, dass die individuelle Kennzeichnung in der gesamten Berliner Polizei eingeführt wird.

Fazit

DIE LINKE fordert: Friedlicher politischer Protest von Bürgerinnen und Bürgern ist ein essentieller Bestandteil unserer politischen Kultur und muss weiterhin möglich sein. Die rot-rote Koalition darf sich nicht von Scharfmachern beirren lassen und von dem ursprünglich beschlossenen Kurs abweichen. An der Deeskalationsstrategie und der individuellen Kennzeichnung als wichtigen Bestandteilen einer offenen, bürgernahen und liberalen Hauptstadtpolizei muss festgehalten werden.

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