»action week« muss ausgewertet werden

Die letzten Einsätze der Polizei machen deutlich, dass es einen großen Gesprächsbedarf gibt.

50. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode in der Aktuelle Stunde zu »Herr Körting, stoppen Sie den roten Terror – Berlin darf nicht Hauptstadt des Linksextremismus werden!« in Verbindung mit der Beschlussempfehlung »Runden Tisch gegen Linksextremismus einrichten«

Danke, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Ratzmann! Ich war versucht – was selten hier im Haus vorkommt – mich nach den ersten von Ihnen gesprochenen Sätzen herzlich bei Ihnen zu bedanken. Ich springe über meinen Schatten und bedanke mich gleichwohl. Für den Anfang, als Sie über die Gemeinsamkeiten hier im Haus gesprochen haben, bin ich Ihnen dankbar. Es ist relativ übersichtlich, was die CDU-Fraktion hier in dieser Aktuellen Stunde versucht, nämlich uns mit auf die Anklagebank wegen der linksextremistischen Gewalttaten zu setzen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir haben bereits am Montag im Innenausschuss das zweifelhafte Vergnügen gehabt, die bunte Welt der Mythen und Legenden der CDU und der FDP zu diskutieren. Da wird munter alles mögliche zusammengerührt: brennende Autos, 1. Mai, Polizeistatistik, »Action Week« und Tempelhof-Nachnutzung, ein Potpourri, mit dem der bis zum vergangenen 1. Mai von der Union schmerzlich vermisste Hauptfeind, der Linksextremismus, noch einmal stärker und mächtiger geredet wird, als er in Wahrheit ist. Wer versucht, diese Dinge differenziert und sachlich zu diskutieren, wer versucht, der Frage einigermaßen nüchtern nachzugehen, was gegen welches Gewaltphänomen hilft, was nicht und wo tatsächlich die Grenze zwischen Protest und der Gefährdung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung liegt, der wird der Kumpanei mit Gewalttätern beschuldigt. Schade, dass dieses Springer-CDU-Ritual immer wieder verfängt. Dabei liegt auf der Hand, dass diese sinn- und hirnlose Gewalt, das Anzünden von Autos, Anschläge auf Gewerkschaftsbüros, Restaurants oder das Flaschen- und Steinewerfen aus Demonstrationen heraus schadet und zwar neben den konkreten Opfern natürlich in erster Linie auch der demokratischen Linken und dem Anliegen, ernsthaft über Probleme wie Stadtentwicklung, Segregation und Gentrifizierung zu reden.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Uns zu schaden und vorzuführen, Herr Lindner, eint die Täter tatsächlich mit »BZ« und »Bild« und offensichtlich auch mit Ihnen, so, wie Sie die Debatte führen.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das sind Ihre Straßenkolonnen und sonst nichts! –
Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sind Sie sich sicher, dass es nicht Ihre sind?]

Weil das so ist, weil Herr Schupelius, Herr Juhnke und Herr Lindner gelernt haben, dass Wiederholung die Mutter der Propaganda ist, muss ich wegen Ihrer wiederholten Unterstellungen das Haus mit Selbstverständlichkeiten langweilen. Straftaten, wie sie zum Beispiel am 1. Mai aus einer Demonstration heraus begangen worden sind, die Anschläge auf Restaurants oder auch das Anzünden von Autos sind zu verurteilen. Sie sind durch keine politische Parole gerechtfertigt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Henner Schmidt (FDP): Weiß das auch Frau Baba?]

Darüber hinaus sind solche Taten auch nicht links, sondern hirnrissig. Die Täter haben nicht nur dem Bemühen um einen repolitisierten und dabei friedlichen 1. Mai einen schweren Rückschlag verpasst, sie liefern zudem jenen Kreisen Munition, denen das Demonstrationsrecht, die Deeskalationsstrategie und die Entwicklung der Berliner Polizei hin zu mehr Offenheit, zu einer liberalen, bürgernahen Hauptstadtpolizei schon immer ein Dorn im Auge war.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Und weil in solchen Debatten so viele Kinder mit dem Bade ausgeschüttet werden, betone ich auch für meine Fraktion: Für uns bleibt das Demonstrationsrecht ein hohes Gut, ebenso wie die Unschuldsvermutung. Das bedeutet auch, dass ein Gewalttäter auf einer Demonstration erst dann ein Gewalttäter ist, wenn er gewalttätig wird und nicht einfach nur so aussieht.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Und ein Straftäter ist erst dann einer, wenn er einer Straftat überführt ist, und nicht schon, wenn er einer solchen beschuldigt wird. Wenn uns diese Haltung für irgendjemanden in diesem Haus verdächtig macht, dann ist das schade, aber nicht zu ändern. Wir sind uns ganz sicher, dass wir damit fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ich will versuchen, die verschiedenen Fragestellungen, um die es hier eigentlich gehen sollte, zu sortieren.

Zum Ersten: Die Serie von Brandanschlägen, die Überfälle auf Restaurants, Gewerkschaftshäuser, Privatwohnungen etc. sind Straftaten, die mit kriminalpolizeilichen Mitteln aufgeklärt werden müssen, so wie andere Straften wie Wohnungseinbrüche, Raub usw. – ganz egal, ob sie einen politischen oder unpolitischen Hintergrund haben. Präventiv lässt sich da leider wenig tun. Das liegt an der Tatbegehungsweise. Dies ist schon häufig seitens des Polizeipräsidenten erklärt worden, das ist gestern noch einmal von Frau Schmid vor dem Verfassungsschutzausschuss erklärt worden. Das ist ein Problem, das in dieser Tatbegehungsweise liegt. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen. Dem Innensenator und der Berliner Polizei kann hier seitens eines sachlichen Beobachters keinerlei Versäumnis angelastet werden.

[Zuruf von der CDU: So ein Quatsch!]

Wir können nur wünschen, dass die Aufklärung dieser Straftaten schnell vonstatten geht und über die Aufklärung der Straftaten ein Zeichen gesetzt wird, damit dem etwas entgegengesetzt werden kann.

Zum Zweiten, 1. Mai und »action week« – ich fasse das aus Zeitgründen in einem zusammen: Je länger der 1. Mai her ist, desto schlimmer und verheerender wird er in der Erinnerung mancher, als er es war. Ja, im Vergleich zum Vorjahr hatten wir mehr und auch schon zeitlich früher gewalttätige Auseinandersetzungen, und es ging auch brutaler zu. Es gab auch so etwas wie ein Revival eines Schwarzen Blocks. Gemessen an den drei vorangegangenen Jahren war es ein Rückschlag. Wenn wir jedoch ehrlich sind, müssen wir feststellen, im Vergleich zu den Zeiten der Demonstrationsverbote, der martialischen Polizeieinsätze der früheren Jahre hat sich die Gewalt in Grenzen gehalten. Und es konnte vor allem weitgehend vermieden werden, dass friedlich Festbesucher in Mitleidenschaft gezogen wurden. Insofern war der Polizeieinsatz auch ein vernünftiger Polizeieinsatz. Das muss man hier auch einmal feststellen.

[Kurt Wansner (CDU): Sie haben doch wohl von nichts eine Ahnung!]

Und bei der »action week« gab es unproblematische Veranstaltungen und Aktionen, in denen politische Inhalte eine Rolle spielten – das stammt nicht von mir, sondern das hat Frau Schmid vom Verfassungsschutz gestern erklärt –, und es gab Aktionen, die nicht nur den legalen, sondern auch den politisch legitimen Rahmen, zum Beispiel den es friedlichen zivilen Ungehorsams, überschritten haben. Da musste die Polizei eingreifen. Das hat sie getan. Und ob sie das in jedem Fall angemessen und verhältnismäßig getan hat, muss man im Einzelfall prüfen, sofern Beschwerden erhoben werden.

Nun zu Tempelhof: Uns wäre es auch lieber gewesen, wir hätten die erwünschte Teilöffnung des Flughafengeländes bereits. Es wäre einiges auch an unerfreulichen Szenen erspart geblieben. Dem stand aber auch die Miteigentümerschaft des Bundes im Wege.

[Unruhe bei der CDU und den Grünen –
Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Ist doch überhaupt nicht wahr!]

Nun gab es den Aufruf, sich des Geländes zu bemächtigen – nicht nur von Linksradikalen, durchaus auch verbunden mit Sympathien bis hinein ins bürgerliche Spektrum. Weil dies auch immer wieder behauptet wird: Meine Partei hat dazu übrigens nicht aufgerufen.

Und die Berliner Polizei hat mit einem Großaufgebot eine Besetzung verhindert und damit auch unter Beweis gestellt, dass sie nicht auf dem linken Auge blind ist, wie Henkel, Jung und Schupelius behaupten. Sie hat es, wie man sehen konnte, auch optisch durch Outfit und Materialshow unterstrichen. Es gab durchaus auch unschöne Szenen, sei es die gezogene Waffe eines Zivilbeamten oder Vorgänge, wie sie den Mitgliedern des Innenausschusses durch einen Bürgerbrief zur Kenntnis gegeben wurden und auf die wir durch weitere Berichte und Fragen aufmerksam gemacht wurden.

Ich sage Ihnen – auch auf die Gefahr hin, dass CDU und FDP das Gesagte wieder verkürzen und umdeuten wollen: Die Bilder, die ich gesehen habe, werfen Fragen auf, nämlich ob der Polizeieinsatz tatsächlich in jedem Fall angemessen war,

[Zuruf von der CDU: Natürlich!]

ob sich Polizeibeamte in jedem Fall korrekt verhalten haben und ob die Deeskalationsstrategie gerade auf vernünftige Weise modifiziert wird. Das sind Fragen, die sich verantwortliche Politiker und Polizeiführer selbstverständlich nach jedem Polizeigroßeinsatz stellen müssen.

[Andreas Gram (CDU): Das hat acht Minuten gedauert, jetzt sind wir beim Thema!]

Dies umso mehr, da der Eindruck entstanden ist, dass seit dem 1. Mai die Polizeieinsätze rauer und ruppiger geworden sind und öfter in der Verwendung des Schlagstocks und Pfeffersprays enden. Die Vermutung liegt nahe, dass auch in der Polizei die Springer-CDU-Kampagne Wirkung zeigt.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Gelächter bei der CDU]

Die Kampagne der CDU – und dieses Gemurmel bestätigt es – arbeitet an einer Stimmung: Wer das Demonstrationsrecht verteidigt, steht unter Verdacht, Gewalttaten billigend in Kauf zu nehmen. Wer Nachfragen zu Polizeieinsätzen stellt, will rechtsfreie Räume für Chaoten schaffen. Wer über Gentrifikation diskutiert, ist mindestens ein Sympathisant von Terroristen. Das sind Ihre Thesen, und ich frage Sie: Wo leben wir denn? Ist denn bei der FDP, ist bei den Freunden des liberalen Rechtsstaates überhaupt noch jemand zu Hause?

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Bisher konnte mir niemand erklären, wie eine härtere Gangart der Polizei auf Demonstrationen verhindern soll, dass an dem anderen Ende der Stadt ein Auto angezündet wird. Es konnte mir auch noch niemand erklären, wie ein martialischeres, härteres Auftreten der Polizei als zum Beispiel am 1. Mai Gewalttätige von friedlichen Demonstranten, Schaulustigen besser zu trennen vermag. Wir werden diese kritische Diskussion mit dem Koalitionspartner, dem Polizeipräsidenten und der Berliner Polizei führen, und zwar ganz sachlich, um den besseren Weg, wie wir effektiv Kriminalität bekämpfen und gleichzeitig das Demonstrationsrecht schützen können.

Der Vorschlag der CDU, bei der Senatsverwaltung für Inneres einen Runden Tisch gegen Linksextremismus einzurichten, haben wir mit einem Änderungsantrag beantwortet – es wurde schon angesprochen. Ihr Vorschlag war in keiner Sekunde ein seriöser Vorschlag, um ein Problem zu lösen. Wer Ihren Antrag liest, sieht, dass es Ihnen um Lagerwahlkampf geht und nichts anderes – geschenkt!

[Beifall bei der Linksfraktion –
Beifall von Frank Zimmermann (SPD)]

Es gibt keine Zweifel daran, dass Rot-Rot Straftaten bekämpft, egal woher sie kommen. Nicht geschenkt ist die Analogie zum Runden Tisch gegen Rechtsextremismus. Es war ein hohes Gut, das die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien – übrigens selbstorganisiert, nicht beschlossen durch das Abgeordnetenhaus und nicht angesiedelt bei einer Senatsverwaltung – einen Runden Tisch gegen Rechtsextremismus eingerichtet hatten. Er sollte unter anderem verdeutlichen, dass die hier vertretenen demokratischen Parteien keinerlei Relativierungen nazistischer und rechtsextremer Verbrechen durch NPD und Kameradschaften zulassen wollen. Mit der von Ihnen gewählten Analogie zwischen Links- und Rechtsextremismus, zwischen Leuten, die schwere Straftaten begehen, indem sie Autos anzünden oder Steine werfen, und Leuten, die die industrielle Massenvernichtung von Juden rechtfertigen, die Asylbewerberheime und Wohnhäuser türkischstämmiger Mitbürger angezündet haben, öffnen Sie der Relativierung nazistischer Verbrechen Tür und Tor.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Beifall von Dr. Fritz Felgentreu (SPD)]

Vizepräsidentin Karin Seidel-Kalmutzki:

Entschuldigung, Herr Abgeordneter Wolf! Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Würden Sie bitte zum Schluss kommen?

Udo Wolf (Linksfraktion):

Mein letzter Satz: Sie begehen da – ich drücke mich vorsichtig aus – einen politisch sehr gefährlichen Weg. Es wäre schön, wenn Sie wenigstens in dieser Frage auf den Teppich kommen würden!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

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