Wer zahlt die Zeche? Keine Finanzierung zulasten der Länder und Kommunen

Udo Wolf in der Aktuellen Stunde zur Europäische Finanzkrise

65. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode. Udo Wolf zur Aktuellen Stunde: Europäische Finanzkrise – wer zahlt die Zeche? Keine Finanzierung zulasten der Länder und Kommunen, auf Antrag der SPD und der Linksfraktion

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Henkel!

Die Kollegin Seelig hat mir gerade erzählt, dass Sie gestern bei einer Veranstaltung bei der GdP wieder mehr Personal und eine höhere Besoldung gefordert haben.

[Martina Michels (Linksfraktion): Ha, ha!]

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –

Zurufe von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)

und Lars Oberg (SPD)]

Im Geldausgeben war die CDU immer Spitze, insbesondere die Westberliner CDU, beim Konsolidieren habe ich nichts davon erlebt. Wir sind heute nicht im Europaparlament, wir sind auch nicht im Deutschen Bundestag. Wir sind in einem Landesparlament, das sich große Sorgen machen muss, Sorgen, weil wir sehen, wie die Bundesregierung zur Bewältigung der europäischen Finanzkrise herumstümpert und weil die Fehler des Bundes immer wieder die Länder und die Kommunen treffen. Wir Länder sollen es am Ende wieder sein, die die Zeche zahlen. Das ist heute unser Thema. Denn wir tragen hier in Berlin die Verantwortung –

[Christoph Meyer (FDP): Nicht mehr lange!]

nicht für die Steuerausfälle der nächsten Jahre, nicht für die Ursachen der Weltwirtschaftskrise und der Finanzmarktkrise, aber dafür, dass wir unter diesen miserablen Bedingungen die Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt sichern.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SDP]

Wir müssen hier den Menschen sagen, was wir vom Bund erwarten. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet die FDP, dass Sie, Herr Meyer, heute darüber nicht sprechen wollten. Herr Westerwelle ist auch ziemlich still geworden. Das ist auch besser so.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD –

Christoph Meyer (FDP): Wir wollten über ihre

inkompetente Senatorin sprechen, Herr Wolf!]

Herr Henkel! Von verantwortungsvollem Handeln der Bundesregierung ist derzeit auffallend wenig zu spüren. Sie wird getrieben von den Banken und Spekulanten. Sie lässt den Zweifel an der Einheit des Euroraumes gären. Trotz mannigfacher Versprechen hat sie aus der Krise 2008 nichts gelernt. Sie hat seitdem auch nichts getan, um die dringend notwendige Regulierung der Finanzmärkte anzugehen.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Finanztransaktionssteuer wäre ein entscheidender Schritt – der Kollege Müller hat bereits darüber gesprochen –, um schnelle Spekulationsgeschäfte wirksam zu bekämpfen. Mit diesem Vorschlag steht Die Linke längst nicht mehr allein da. Doch dass die Bundesregierung sie durchsetzt, sehe ich nicht. Zwar finden Teile der Union sie inzwischen auch richtig, aber die FDP will sie nicht. Was folgt, ist die Ausrede, dass es weltweiter Verabredungen bedürfe, mehr nicht. Der Kollege Müller hat es ebenfalls schon angesprochen: Sogenannten Leerverkäufe, die die Finanzpolitik von der realwirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln, müssen endlich komplett untersagt werden.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist doch pervers, wenn darauf gewettet wird,

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

dass es wirtschaftlich bergab geht und Aktien an Wert verlieren. Das muss ein Ende haben! Dass das notwendig ist, sieht immerhin die BAFin. Sie hat jetzt den spekulativsten Typ von Leerverkäufen, die ungedeckten Leerverkäufe, zumindest teilweise untersagt. Leider ist dies nicht EU-weit abgesprochen, und leider sind auch nicht alle Leerverkäufe untersagt worden. Wo man hinguckt, findet man Halbheiten und Stümperei.

Da wird von der Bundesregierung eine Bankenabgabe erwogen, mit der man Vorsorge für künftige Finanzkrisen treffen will. Das ist eine ziemlich „schräge“ Veranstaltung. Allein um auf die Summe zu kommen, die im Jahr 2008 als staatliche Stützung zur Verfügung gestellt worden ist, müsste man 400 Jahre lang ansparen. Noch so ein Unding: Die Bankenabgabe sollen nicht nur jene Institute zahlen, die hoch spekulative Geschäfte machen, die Bundesregierung will genauso Volksbanken und Sparkassen heranziehen.

[Christoph Meyer (FDP):

Die haben doch mitgemacht!]

Dabei sind sie es, die in Zeiten der Finanzkrise die regionale Kreditversorgung der kleinen und mittelständischen Wirtschaft leisten. Das sollte auch die FDP wissen – und nicht immer nur den Spekulanten hinterherrennen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –

Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Statt vorausschauender und solidarischer Hilfe unter Beteiligung des Finanzsektors folgt eine Notoperation nach der nächsten. Wohin das alles führt, können wir jetzt schon sagen: Die Länder und Kommunen werden ausbluten, denn alle Mittel, die der Bund jetzt aufwendet, werden dort fehlen.

Allein mit den 480 Milliarden Euro, die im Jahr 2008 zur Stützung des Finanzsektors bereitgestellt worden sind, hätte man eine Schuldentilgung aller Bundesländer erreichen können. Stattdessen ist das Geld verwendet worden, um es den Fehlentscheidungen privater Finanzjongleure hinterherzuwerfen. Es steht zu befürchten, dass es wieder so läuft. Das können die Länder und Kommunen auf Dauer nicht hinnehmen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –

Joachim Esser (Grüne):

Habt ihr doch hier beschlossen!]

– Lieber Herr Esser! Um nicht missverstanden zu werden: Ich finde eine Herangehensweise, wie sie der Boulevard gerade betitelt nach dem Motto „Milliarden für die Griechen“ – oder wie es auch Herr Henkel sagt: Milliarden für die Griechen, aber wir müssen die Schwimmbäder schließen –, äußerst problematisch. Aber die Bundeskanzlerin hat das selbst befördert. Denn wir haben nicht nur eine Griechenlandkrise, sondern vor allem eine Eurokrise.

Wir müssen sowohl die Eurozone stabilisieren als auch die Staatsfinanzen Europas und unsere eigenen konsolidieren. Das Problem der chronischen Unterfinanzierung der Länder und der Kommunen tritt in solchen Zeiten eben besonders stark zu Tage. Solange der Bund sich weigert, die Einnahmeseite des Staates zu verbessern, solange der Bund sich weigert, eine sozialgerechte Steuerpolitik zu machen, so lange wird jede zusätzliche Belastung des Bundes verhindern, dass die Ausstattung der Kommunen strukturell verbessert wird. Das ist das Problem.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Stattdessen treten wie Herr Koch in Hessen sofort jene auf den Plan, die meinen, es helfe nur eines: den Gürtel enger schnallen. Allerdings kann man sich mit dem Gürtel auch selbst umbringen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Es ist falsch, nur weniger für die Bildung, für die Arbeitsmarktförderung auszugeben oder Investitionen zu streichen. Das ist volkswirtschaftlich großer Unsinn. Schuldenbremse mag ja gut klingen, aber sie geht an den Realitäten komplett vorbei. Es braucht – und auch das wissen wir – weiterhin eine verantwortungsvolle Konsolidierungspolitik. Das haben wir in den vergangenen Jahren in Berlin gemacht,

[Christoph Meyer (FDP): Wo denn?]

und das war oft schmerzhaft. Aber ich sage: verantwortungsvolle Konsolidierungspolitik. Das bedeutet zweierlei: Wir werden hier auch weiterhin nicht das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinausschmeißen. Wir haben auch nicht vor, die Ausgabenlinie zu erhöhen. Aber wir dürfen auch nicht der Krise hinterhersparen. Denn Berlin, dem die Hilfe des Bundes beim Abbau seiner Schulden bekanntlich verweigert wurde – Sie erinnern sich vielleicht an Karlsruhe 2006 –, lebt eben nicht über seine Verhältnisse. Wir haben heute kein Ausgabenproblem mehr, sondern ein Einnahmeproblem,

[Beifall bei der Linksfraktion –

Beifall von Frank Zimmermann (SPD)]

das sich im Übrigen auch noch mal verschärfen würde, wenn die FDP ihre Steuerpläne im Bund durchbekommen würde. Auf Berlin kommen jetzt Steuerausfälle in dreistelliger Millionenhöhe zu. Die gleicht man eben nicht aus, indem man sich mal hier und mal da ein Stückchen Speck aus den Rippen schneidet. Diese Summe ließe sich strukturell nur einsparen, wenn man in der Stadt in drei Bereichen massiv spart: bei der Bildung, in der sozialen Infrastruktur und beim Personal. Aber in genau diesen Bereichen gibt es in Berlin nichts mehr zu holen – jedenfalls nicht, solange wir hier mitregieren. Denn dies wäre ein Angriff auf die Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Berlin ist unter anderem deshalb eine starke Metropole,

[Zuruf von den Grünen]

weil Rot-Rot in Bildung investiert und weil es hier eine gute soziale Infrastruktur gibt. Und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben in den vergangenen Jahren einen großen Solidarbeitrag für diese Stadt geleistet. Es ist das Mindeste, dass die Einkommen wieder Schritt für Schritt an die Entwicklung andere Länder angekoppelt werden.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es gibt ja jetzt die Chance, dass es zu einer vernünftigen Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen kommt. Das bedeutet, dass sich die Verhältnisse im Bundesrat ändern. Und die Frage, wer in diesen Zeiten die Zeche zahlt, kann dann auch anders beantwortet werden. Fest steht: Der Widerstand gegen die schwarz-gelbe Bundesregierung wächst kontinuierlich, und Länder und Kommunen erwarten zu Recht, dass sich ihre Situation im Zuge der Krise nicht weiter verschlechtert.

Es ist schon lange an der Zeit, die Vermögenden stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Es braucht Änderungen beim Spitzensteuersatz, eine gerechte Steuer auf Millionenerbschaften und das Schließen von Steuerschlupflöchern. Die sozial Schwachen müssen vor weiteren Einschnitten geschützt werden, und die konjunkturelle Erholung der Wirtschaft darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, indem man sich die Investitionen spart. Wir lehnen es ab, die fehlenden Milliarden durch Kürzungen bei Arbeitnehmern, Rentnern, Familien und Studenten zu holen. Die jetzt vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer ist deshalb für uns vollständig indiskutabel.

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir sehen die Bundesregierung in der Pflicht, mit den Banken und Investoren, die Staatsanleihen gefährdeter Mitgliedsstaaten halten, Verhandlungen aufzunehmen. Hier muss eine adäquate Beteiligung an den Kosten der Rettungsmaßnahme erreicht werden. Der Finanzsektor muss an der Finanzierung öffentlicher Ausgaben und zugleich an den Kosten der Krise beteiligt werden. Das ist eine fundamentale Gerechtigkeitsfrage. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion –

Vereinzelter Beifall bei der SPD]

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