Keine Armenviertel und keine Glaspaläste für Reiche

Der Wohnraum ist knapp in der Stadt, und er wird noch enger: Udo Wolf, Linke, über private Vermieter, Vergesellschaftung und Klientelpolitik.

TAGESSPIEGEL: Herr Wolf, wohnen Sie im Eigentum?

Udo Wolf: Ja, ich wohne im Eigentum.

TAGESSPIEGEL: Ihre Partei unterstützt die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Haben Sie schon einmal mit der Deutsche Wohnen gesprochen?

Ich habe in der Vergangenheit mal mit Vertretern des Konzerns gesprochen. In jüngster Zeit nicht.

Die Volksinitiative beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes, wonach Grund und Boden durch Vergesellschaftung in Gemeinwohl überführt werden kann. Sie wollen die Deutsche Wohnen enteignen und entschädigen. Ist das ein reines Wahlversprechen?

Wir betreten damit Neuland, weil es bisher niemand versucht hat. Die Verfassung sieht in Artikel 14 das Instrument der Enteignung und in Artikel 15 die Vergesellschaftung mit Entschädigung vor. Wir müssen dieses Instrument genau prüfen. Wir haben einen so angespannten Wohnungs- und Mietenmarkt in Berlin, dass wir alle Instrumente prüfen müssen, die dazu geeignet sein können, den Mieten- und Wohnungsmarkt im Sinne der Mieter zu regulieren.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sagte, Enteignung sei nicht sein Weg und seine Politik. Die Grünen sind indifferent. Die Wirtschaftssenatorin sagte, man müsse bezahlbare Wohnungen bauen und Bestände kaufen. Und die Linke will enteignen. Wie wollen Sie auf einen gemeinsamen Nenner kommen?

Auch die Linke sagt, dass Wohnungen gebaut und Mieten reguliert werden müssen. Aber Vergesellschaftung darf kein Tabu-Thema sein. Das ist schon ein weitgehender Eingriff in die Eigentumsverhältnisse und für uns eine ultima ratio. Wenn Wirtschaftsunternehmen problematische Dinge machen oder selbst zum Problem für das Gemeinwohl werden, muss man auch vergesellschaften können. Wir müssen darüber diskutieren, welche Möglichkeiten verfassungskonform und rechtssicher sind.

Wie wollen Sie die Gelder bei den Entschädigungen aufbringen? Die Initiative geht von 7,3 Milliarden bis 13,7 Milliarden Euro aus. Die Finanzverwaltung geht vom Verkehrswert aus. Bausenatorin Lompscher rechnet. Von welchem Wert gehen Sie aus?

Wir sprechen von Vergesellschaftung, dabei muss man nicht den Verkehrswert zugrunde legen. Der Gesetzgeber kann eine eigene Festlegung treffen. Welche Regelung vor Verfassungsgerichten Bestand haben könnte, müssen wir diskutieren.

Rot-Rot-Grün will die Anpassung der Gehälter ans Bundesniveau, die Fortsetzung der Schuloffensive und weiter Schulden abbauen. Dann greift die Schuldenbremse ab 2020. Finanzsenator Kollatz warnt vor weiteren Ausgaben. Wo sehen Sie noch finanziellen Spielraum?

Bei der Rekommunalisierung von Energienetzen oder Wohnungen erwirbt das Land ja Eigentum, das dauerhaft der Allgemeinheit zu Gute kommt. Für solche Dinge legen wir gerade Geld aus den derzeitigen Überschüssen zurück. Durch Eigenkapitalzuführungen an die landeseigenen Unternehmen, wie bei der Schulbauoffensive, können diese günstige Kredite aufnehmen, die nicht unter die Schuldenbremse fallen. Mit ähnlichen Finanzierungsmodellen könnte die Entschädigung beim Vergesellschaften größerer Wohnungsbestände über längere Zeiträume refinanziert werden.

Ohne Neubau geht es nicht. Die Linke setzt sich aber nicht an die Spitze einer Neubauinitiative. Im Gegenteil: Es geht immer um die Mieter und den Mieterschutz. Die Linke macht Klientelpolitik, oder?

Wir machen Politik für die Mieter in der Stadt. Das ist die übergroße Mehrheit der Stadtgesellschaft. Wenn uns das als Klientelpolitik vorgehalten wird, erachten wir das als Kompliment. Aber es gibt ein Missverständnis, wenn man Mieten- und Baupolitik gegeneinander ausspielt.
Wer glaubt, der Bau von mehr Wohnungen würde einen direkten Einfluss auf die Mietpreisentwicklung haben, irrt gewaltig. Mietpreissenkend würde Neubau erst dann wirken, wenn so viele Wohnungen gebaut würden, dass wir dauerhaft großen Leerstand hätten. Aber dann würde die Immobilienwirtschaft kollabieren. Und das will ja auch niemand. Was wir brauchen sind mehr bezahlbare Wohnungen. Teure Neubau-Wohnungen treiben die Preise nach oben. Die geförderten Wohnungen flachen den Mietpreisanstieg ab, auf lange Sicht.

Warum setzt sich Bausenatorin Lompscher nicht an die Spitze der Neubau-Bewegung? Rot-Rot-Grün wird das Ziel verfehlen, 30.000 Neubauten der Wohnungsgesellschaften bis 2021 zu schaffen.

Wir können nur mit den Baufirmen und Planungskapazitäten bauen, die wir haben. Das Ziel der 30.000 Wohnungen war sehr ambitioniert. Trotzdem steigt die Zahl der neu gebauten kommunalen Wohnungen schnell. Wir müssen aber mehr Flächen für das Land kaufen, um diese zu entwickeln und auch den Genossenschaften noch stärker als bisher zur Verfügung stellen.
Wohnen, Verkehr, soziale Daseinsvorsorge und das Stadtgrün stehen in Konkurrenz um vorhandene Flächen. All das braucht Platz, aber die Stadt muss lebenswert bleiben und kann nur in Maßen verdichtet werden. Wir müssen überlegen, wie wir kreativer bauen durch Aufstockung und dergleichen.

Laut einer Studie könnten durch das Aufstocken von Häusern rund 180.000 Wohnungen entstehen. Vor allem DDR-Plattenbauten hätten ein Potenzial von 50.000 zusätzlichen Wohnungen. Das hat der Senat schon 2016 erkannt. Aber passiert ist noch nicht viel. Stattdessen veranstaltet Katrin Lompscher Supermarktgipfel ohne nennenswerte Erfolge.

Wenn man kreative Möglichkeiten eröffnen will, muss das vernünftig geprüft werden. Anfang der 2000er Jahre hatte der damalige Bausenator Peter Strieder den Rückbau der Platte angestrengt mit dem Hinweis darauf, dass viel Wohnraum leersteht. Der Wiederaufbau dauert aber länger. Wir dürfen nicht durch reaktives Handeln Fehler begehen, die nur schwer wieder zu reparieren sind.

Was halten Sie vom Mietendeckel, der die Mieten in Regionen mit starkem Mietanstieg einfriert?

Das ist eine sehr schöne Idee, es muss nur auch rechtssicher gehen. Wir Linke schlagen deshalb ein Expertengremium mit Juristen aus der Koalition vor, um das genau abzuwägen. Wenn wir die Chance haben, einen Mietendeckel auf Landesebene einzuführen, der verfassungsrechtlich Bestand hat, sind wir sofort dafür.

Ein Instrument ist das Vorkaufsrecht. In Berlin wurde zwischen 2015 und 2018 das bezirkliche Vorkaufsrecht 32 Mal angewendet, rund 700 Wohnungen sind in Eigentum der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften übergegangen. Will man damit nur suggerieren, dass das Land aktiv in den Markt eingreift?

Jede Wohnung, die wir in den kommunalen Bestand zurückbekommen, ist eine gute Wohnung, weil die Politik Einfluss darauf nehmen kann, was mit der Wohnung passiert. Das ist kein Placebo. Aber das Instrument muss als Teil einer gezielten Ankaufsstrategie genutzt werden. Gezielte Ankäufe können ganze Kieze stabilisieren wie das Kosmosviertel.

Das sind 1800 Wohnungen, die von der Stadt und Land für 250 Millionen Euro gekauft worden sind. Alles Wohnungen im Osten. Ihre Klientel.

Wähler sind in Berlin überall, und wir haben genauso in Kreuzberg und Schöneberg angekauft. Die Frage ist doch, ob das die soziale Durchmischung der Stadt stabilisiert. Im Kosmosviertel wollen wir verhindern, dass sich Menschen mit wenig Geld die Wohnungen dort nicht mehr leisten können. Wir haben kaum Instrumente gegen Bodenspekulationen. Und deshalb müssen manchmal solche Preise bezahlt werden.

Platz für Wohnungen gäbe es auch an den Rändern der Kleingärten. 200.000 Wohnungen mit je 46 Quadratmetern könnten so entstehen. Was halten Sie von dieser Idee aus der Baukammer?

Wir können auch gleich den Tiergarten zubauen. Der Vorschlag ist ein unseriöser Beitrag zur Debatte um Stadtentwicklungspolitik. Wir brauchen Stadtgrün und Kleingärten. Sie auszubauen ist Teil des Koalitionsvertrags.

Sehen Sie Eigentumsentwicklung für Privatleute problematisch an?

Es gibt natürlich auch faire private Vermieter. Eigentum verpflichtet; so steht es im Grundgesetz, mir ist wichtig, dass das ernst genommen wird. Ich will die soziale Durchmischung der Stadt gewährleisten. Ich will in Berlin keine Armenviertel und keine Glaspaläste für die Reichen in der Innenstadt. Die Frage ist doch, ob wir dem Glauben frönen, dass allein die Marktgesetze den sozialen Frieden gewährleisten können. Oder ob der Staat regulierend eingreifen muss. Und wir glauben an Letzteres.

​​​​​​​

Udo Wolf, 56, ist seit zehn Jahren Fraktionsvorsitzender der Linken. Er wurde in Frankfurt am Main geboren und studierte in den 80ern an der FU. Seit 2001 ist er Mitglied des Abgeordnetenhauses. Udo Wolf ist der jüngere Bruder von Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf.
 

Tagesspiegel, Berlin, 3.3.2019
DAS INTERVIEW FÜHRTE SABINE BEIKLER

m.tagesspiegel.de/berlin/linken-fraktionschef-udo-wolf-keine-armenviertel-und-keine-glaspalaeste-fuer-reiche/24058512.html