Nußbaum hantiert mit Voodoo-Zahlen
Die Linkspartei hat lange mit der SPD zusammen die Stadt regiert, seit 2011 sitzt sie in der Opposition. Fraktionschef Udo Wolf übt heftige Kritik am Zustand der großen Koalition aus SPD und CDU, auch an Senatschef Klaus Wowereit.
Herr Wolf, durch den im Zensus ermittelten Bevölkerungsrückgang verliert Berlin viel Geld. Was erwarten Sie jetzt vom Senat?
Der Finanzsenator sollte endlich zur Haushaltswahrheit zurückkehren. Wir haben schon früher festgestellt, dass er mit Geldbunkern und Puffern arbeitet. Nun macht er so weiter. Die rund 940 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich, die Berlin in diesem Jahr verrechnen muss, kann Herr Nußbaum ganz problemlos aufbringen.
Er sagt, es müsse gespart werden.
Das ist politische Panikmache. Er will Druck auf die Ressorts ausüben, um sich sein finanzpolitisches Denkmal zu setzen. Nußbaum will schon 2014 oder 2015 und damit viel früher als nötig ohne neue Kredite auskommen.
Nußbaum verweist darauf, dass Berlin mit rund 63 Milliarden Euro verschuldet ist. Ist Ihnen das egal?
Meine Partei hat über zehn Jahre einen harten Sparkurs mitgetragen, und zwar aus Überzeugung. So eine Politik geht aber nur so lange gut, wie eine Stadt nicht auf Verschleiß gefahren wird. Und an dem Punkt sind wir heute. Beispiel öffentlicher Dienst: Wenn wir jetzt nicht handeln und einstellen, ist er 2017 nicht mehr funktionsfähig.
Ist es nicht klug, wenn Nußbaum wie eine schwäbische Hausfrau agiert?
Nein, das hat was von Gutsherrenart. Der Finanzsenator legt sich Hunderte von Millionen Euro zurück, versteckt sie irgendwo im Haushalt, und wenn was passiert, rückt er mal hier, mal da Geld raus. Dem Parlament wird es unmöglich gemacht, sinnvoll über Prioritäten zu diskutieren.
Was fordern Sie also?
Ich will nicht mehr auf der Ebene von irgendwelchen Voodoo-Zahlen diskutieren. Wir brauchen einen seriösen Kassensturz und eine Überarbeitung der mittelfristigen Finanzplanung.
Wie nehmen Sie die Arbeit der großen Koalition insgesamt wahr?
Es gibt keine ernsthafte Kommunikation der Fraktionen von SPD und CDU mit dem Senat. Nehmen wir die Wohnungspolitik. Hier haben wir den Eindruck, dass es zwischen den Koalitions-Akteuren vor allem Ränkespiele gibt. Es gibt keinen inhaltlichen Plan, sondern nur die Frage, wem gönne ich was, und wem gönne ich nichts im eigenen Lager. Das ist eine Katastrophe. Die Diskussion um Wohnungsneubau ist eine Posse ersten Ranges.
Inwiefern?
Die Fraktionschefs hauen mal eben die These raus, dass die Wohnungsbaugesellschaften sich mit einer dreiviertel Milliarde Euro für den Neubau verschulden sollen. Das ist ein Witz! Zehn Jahre lang hat Rot-Rot dafür gesorgt, dass die Verschuldung dieser Unternehmen nicht immer weiter wächst. Und plötzlich soll das alles nicht mehr gelten. Wer ernsthaft an Wohnungsneubau denkt, und das tut auch die Linksfraktion, muss das Eigenkapital der Gesellschaften erhöhen. Nicht die Schulden.
Mit den Ränkespielen meinen Sie sicher die SPD...Es gibt bei einigen die Vorstellung, dass der Senat so eine Art Tafelrunde bei König Artus ist. Und dass es darum geht, wer der erste Ritter in der Tafelrunde sein darf. Da hat Herr Nußbaum Ambitionen. Deshalb hat er ein Interesse daran, jedes Ressort so kurz zu halten, dass es nicht übermächtig wird.
Das sagen Sie nur, weil Bausenator Michael Müller ihr alter Freund ist. Den triezt Nußbaum besonders.
Ich will nicht verhehlen, dass Michael Müller für mich noch der sympathischste in der Tafelrunde ist, auch weil er etwa beim Thema Wohnungspolitik zumindest die Problemlagen verstanden hat. Aber wo er versucht, etwas hinzukriegen, kriegt er Knüppel zwischen die Beine geworfen – entweder vom Finanzsenator oder von der Fraktion oder von der Partei. Man denke daran, wie Jan Stöß an Michael Müller vorbei eine Debatte über den Alexanderplatz und das Marx-Engels-Forum lostrat, mit den uralten Stimmann-Plänen. Das ist für die Koalition ein stadtentwicklungspolitischer Offenbarungseid.
Warum hilft Wowereit Müller nicht?
Gute Frage. Auf mich macht der Regierende inzwischen einen ausgesprochen uninteressierten und unambitionierten Eindruck. Er spult seine Repräsentationstermine ab, aber er greift in keine der wichtigen Debatten in der Stadt ein. In der Wohnungspolitik hält er weder seine These aufrecht, dass steigende Mieten ein Zeichen wachsender Prosperität sind, noch erkennt er das drängende Mietenproblem an und drängt zum Handeln. Er macht einfach gar nichts.
Sie kennen ihn gut. Haben Sie eine Erklärung?
Nein. Er müsste jetzt eigentlich jenseits des Flughafendebakels neue Handlungsfelder und Themen besetzen, wenn er eine politische Perspektive für sich entwickeln will. Das sehe ich nicht. Der Regierende und die Koalition haben keine strategische Grundlage. Die SPD hat mit der eher zufällig ans Regieren gekommenen CDU wichtige Themen nicht geklärt, sondern in Prüfaufträge verlagert. Das sorgt für schnelle Überschriften, aber es wird nicht wirklich ernsthaft gearbeitet.
Das Gespräch führten Thomas Rogalla und Regine Zylka.