20.05.2010

»Wir dürfen der Krise nicht hinterher sparen«

Linksfraktionsvorsitzender Udo Wolf zur jüngst entflammten Spardebatte innerhalb der rot-roten Koalition in Berlin

Das Thema Verschuldung soll heute in der Aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus diskutiert werden. Denn auch in Berlin ist im Zuge der Griechenlandkrise eine Debatte um die Haushaltspolitik entbrannt. Insbesondere nach den jüngsten Steuerschätzungen, die für 2011 Mindereinnahmen in Höhe von 161 Millionen und 2012 sogar 195 Millionen Euro prognostizieren. Der Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) sinniert bereits über ein Sparprogramm. Was halten Sie davon?

Bis jetzt hat der Finanzsenator noch nicht gesagt, wie das Sparprogramm aussehen könnte. Klar ist: Niemand macht gerne Schulden. Und schon gar nicht neue. Aber die Frage ist doch, wie viel müssen wir ausgeben, damit die Leistungen erbracht werden können, die für das Land  grundlegend und wichtig sind.

Was sind das für Kernleistungen – oder gibt es doch Bereiche, in denen noch Sparpotenziale stecken?

Wir haben in der ersten Legislaturperiode bereits mehr gespart und umstrukturiert  als andere Bundesländer und es dadurch geschafft, einen ausgeglichenen Primärhaushalt aufzustellen. Das hat die Weltwirtschaftskrise über den Haufen geworfen. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist, dennoch die soziale Infrastruktur zu sichern sowie die Entwicklungspotenziale der Stadt zu erhalten. Das heißt: Wir dürfen der Krise nicht hinterher sparen, wenn wir nicht größeren Schaden für die Zukunft anrichten wollen.

Ihre Partner in der SPD sehen das aber doch anders?

Die Diskussion dazu hat noch gar nicht richtig begonnen: Wir werden trotz Krise als öffentliche Hand soziale Infrastruktur vorhalten, in die Bildungspolitik und in die Wirtschaftskraft der Stadt investieren.

Der Landesrechnungshof erklärte unlängst, 37 Millionen Euro Schaden seien allein im Jahr 2009 durch rot-rote Verschwendung entstanden.

Es ist immer möglich, die Effizienz an der einen oder anderen Stelle zu verbessern und kleine Summen zu sparen. Aber was jetzt an Steuerausfällen in dreistelliger Millionenhöhe droht, ist so nicht zu kompensieren. Außerdem zeigt der Bericht des Landesrechnungshofes doch, dass das Land Berlin auf bestimmte Dinge nur beschränkt Einfluss hat. Natürlich würden wir gerne bei den Wasserbetrieben mehr mitbestimmen, bevor sie mit Werbekampagnen Millionen verplempern.

Dass mit Effizienz nur wenig zu holen sein wird, hat auch der Finanzsenator gesagt. Er will deshalb die Spar-Axt an den öffentlichen Dienst anlegen. Anderswo ein Grund, Koalitionen abzulehnen.

Wir haben in unserer Koalition immer klare Zielmargen für den öffentlichen Dienst genannt – darunter zu gehen, wäre unverantwortlich, wenn man die Aufgaben der öffentlichen Hand weiterhin vernünftig erfüllen will. Zudem haben die Bezirke bereits jetzt Probleme, was den Personalbestand angeht.

Die Grenze von 100 000 Beschäftigten bleibt also bestehen?

Weiter runterzugehen, könnte zwar den Haushalt kurzfristig entlasten. Aber die Leistungsfähigkeit würde darunter leiden. Ein Beispiel: Wenn wir Steuern eintreiben wollen, dann brauchen wir auch genug versierte Finanzbeamte. Das liegt doch auf der Hand.

Als weitere Kürzungsmöglichkeiten wurden die drei Opern, Schwimmbäder sowie Krankenhäuser seitens des Finanzsenators in die Spardebatte geworfen.

Sicher lässt sich darüber diskutieren, dass es unterhalb der Ebene der Schließung eines Opernhauses möglicherweise auch die eine oder andere Einsparmöglichkeit gibt. Aber ich sage noch mal: Keine dieser Vorschläge, die ich bisher gehört habe, ist dazu geeignet, in dreistelliger Millionenhöhe strukturell irgendetwas einzusparen.

Was könnte man aber machen? Woanders sprachen Sie davon, Widerstand gegen das Kaputtsparen der Kommunen durch den Bund zu leisten.

Möglicherweise bieten die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat dafür gute Chancen – auch im Hinblick auf die Schuldenbremse. Auch andere Großstädte und Bundesländer sind unter den Bedingungen der Krise schwer unter Druck. Deshalb debattiert dies auch der Städtetag. Fakt ist doch: es gibt schon lange kein Ausgabenproblem mehr, sondern ein massives Einnahmeproblem.

Das heißt einfach Mehrwertsteuer hoch?

Bevor in der Bundespolitik wieder  eine Mehrwertsteuererhöhung Thema wird, wäre dringend geboten, endlich  die Vermögenden stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Dort könnten in großen Milliardenbeträgen Steuereinnahmen generiert werden. Das  brächte eine echte Entlastung, auch für den Berliner Haushalt.