Endspurt in der Bundeshauptstadt. Schon am 18. September werden die Wahllokale geöffnet. Für manche Parteien wird es sehr spannend, für andere könnte dieser Wahlsonntag zur großen Enttäuschung werden. Auf den letzten paar Metern des Wahlkampfes haben wir diverse Interviews mit Berliner Politikern geführt. So auch mit Udo Wolf, dem Vorsitzenden der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus.

Lars Sobiraj: Inhaltsleerer kann ein Wahlkampf kaum durchgeführt werden. SPD und die Grünen zeigen auf den Plakaten lediglich die Gesichter ihrer Spitzenkandidaten in Nahaufnahme. Womit wirbt denn Die Linke um die Gunst der Berliner?

Udo Wolf: DIE LINKE wirbt natürlich mit dem sozialen Berlin. Denn das gibt es nur mit uns in der Regierung.  SPD und Grüne haben Hartz IV erfunden. Wir haben Langzeitarbeitslosen öffentlich geförderte Beschäftigung ermöglicht, fair entlohnt und sozialversichert, statt schlecht bezahlter 1-Euro-Jobs. Wir haben Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht privatisiert, sondern durchgesetzt, dass sie wirtschaftlich arbeiten und transparent geführt werden. Jetzt sind wie diejenigen, die sich dafür einsetzen, dass die 1999 von SPD und CDU privatisierten Wasserbetriebe wieder unter öffentliche Kontrolle kommen. Wir wollen weitere Verbesserungen an den Schulen und dass die Reformen nicht zurückgedreht werden. Damit werben wir. Und selbstverständlich mit den 120.000 neu entstandenen Arbeitsplätzen, die seit dem Jahr 2006 neu entstanden sind. Es könnten weitere 150.000 bis 2016 dazu kommen. Schlüsselthema für DIE LINKE ist allerdings die Entwicklung der Mieten in der Stadt.  Die SPD hat sich lange geweigert, über unsere Vorschläge zur Sicherung und Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu sprechen. Da muss es  sichtbare Veränderungen geben. Eine soziale Mietenpolitik ist bei uns Voraussetzung für eine Koalition.

Lars Sobiraj: Woran liegt es, dass die Umfragewerte von Frau Künast in den letzten Wochen so sehr abgestürzt sind? War die Ankündigung der Zone 30 für zahlreiche Straßen Berlins ein Wahlhindernis, beziehungsweise was lief falsch bei den Grünen?

Udo Wolf: Das werden die Grünen und Renate Künast sicher selbst analysieren. Da sollten Sie die Grünen fragen.

Lars Sobiraj: Keine Angst, da sind wir schon dabei. Was glauben Sie, welche Erfolge können Sie bei der gemeinsamen Arbeit mit der SPD der letzten Jahre vorweisen?

Udo Wolf: In der ersten Legislaturperiode hatten wir ordentlich zu tun, um die Hinterlassenschaft der großen Koalition aufzuräumen. In Berlin herrschten Größenwahn und Provinzialität, Korruption und haushaltspolitische Verantwortungslosigkeit; ein Bankenskandal musste aufgearbeitet werden. Wir haben da viele schmerzhafte Entscheidungen treffen müssen. Und wir haben auch manchen Fehler gemacht.  - Aus Finanznot mit der GSW eine städtische Wohnungsgesellschaft verkauft. Aber wir haben die Basis geschaffen, dass Berlin wieder auf die Beine gekommen ist. Aufstrebend, weltoffen, bunt und lebendig – so ist Berlin im Jahr 2011. Berlin ist attraktiv. Und das ist so, weil es in der Stadt eben auch sozialer und kreativer zugeht als in anderen Metropolen auf dieser Welt.

Dafür haben wir von der Schulreform angefangen über mehr direkte Demokratie bis hin zum bundesweit ersten Integrationsgesetz einige Meilensteine gesetzt. Wer es genauer wissen möchte, für den lohnt ein Blick hier.

Lars Sobiraj: Wieso bekommen das so wenige Wähler mit, dass sie von zwei roten Parteien regiert wurden? Herr Wowereit verschweigt den kleinen Koalitionspartner ja mitunter sehr gerne, wenn er von seinen Erfolgen spricht. Was wollen Sie dagegen tun?

Udo Wolf: Was der Unterschied ist zwischen Rot-Rot und anderen Konstellationen, haben durchaus viele Berlinerinnen Berliner mitbekommen. Das wissen wir aus vielen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Gewerkschaften, Verbänden und Bürgerinitiativen. Die wissen, wer’s erfunden hat und kennen unsere Initiativen. Auch wenn davon nicht immer etwas in der Zeitung steht. Denn die meisten Medien hatten  in den letzten Wochen ja vor allem damit zu tun,  über das Duell Wowereit Künast zu berichten. Deshalb ist für uns das beste Mittel,  unsere Erfolge zu verbreiten, sich an die Bürgerinnen und Bürger direkt zu wenden, auf die Straße zu gehen, auf Veranstaltungen, in Einrichtungen. Das wird bis zum Sonntag intensiv fortgesetzt.

Lars Sobiraj: In Berlin brennt ja nicht nur politisch gesehen die Luft. Woran liegt es, dass seit einigen Wochen so viele Autos in Brand gesetzt werden? Renate Künast fordert mehr Polizisten, Herr Wowereit hingegen spricht sich indirekt für eine wachsame Bürgerwehr aus. Was schlagen Sie stattdessen vor?

Udo Wolf: Bei uns gibt es kein Verständnis für die Brandstiftungen. Allerdings wollen wir, dass die Polizei mal in Ruhe ihre Arbeit machen kann. Die Stadt hat 1,2 Mio. Autos und mehrere Tausend Kilometer Straßenland. Mit „Mehr Polizei“ kommt man da nicht weit, denn die Täter sind oft über alle Berge, ehe ein Fahrzeug Feuer fängt. Je mehr die Debatte öffentlich geführt und von der CDU oder auch den Grünen im Wahlkampf angeheizt wird,  umso mehr stiftet das Nachahmungstäter an.

Lars Sobiraj: Auf Ihrer Webseite sprechen Sie sich für „erschwinglichen Wohnraum“ und „gleiche Bildungschancen für alle Kinder“ aus. Wenn selbst die städtischen Wohnbaugesellschaften die Mieten erhöhen und in Berlin tausende Kita-Plätze fehlen, wird es mit der Erreichung dieser Ziele schwierig. Was haben Sie schon dagegen getan? Was wollen Sie diesbezüglich unternehmen?

Udo Wolf: Mietrecht wird zum größten Teil durch Bundesgesetze geregelt. Deshalb haben wir im Bundesrat die Initiative ergriffen, um die allgemeine Mieterhöhungsmöglichkeit von bislang bis zu 20 Prozent in drei Jahren auf maximal 15 Prozent in vier Jahren zu beschränken. Außerdem soll die bundesweit geltende Umlage von Modernisierungskosten, die Mieter bislang dauerhaft zusätzlich belastet, begrenzt werden. DIE LINKE fordert wieder mehr kommunalen Wohnungsneubau zu bezahlbaren Preisen. Wir haben Gesetzesänderungen zum Schutz vor Luxusmodernisierung und zum Schutz sozial Schwacher vor Zwangsumzügen vorgeschlagen. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll eingeschränkt und verhindert werden, dass immer mehr Wohnraum zu Ferienwohnungen wird. Betriebskosten können sinken, wenn das Land Berlin wieder Einfluss auf die von CDU und SPD privatisierten Wasserbetriebe erlangt.  Und was die Kita-Plätze betrifft, da haben wir in Berlin erreicht, dass Kinder zwischen drei und sechs Jahren für bis zu sieben Stunden kostenfrei in die Kita gehen können. Auch sind wir bundesweit Spitze, was die Versorgung betrifft. Trotzdem finden derzeit nicht alle Eltern immer gleich einen Kitaplatz. Und die Nachfrage wächst. Da müssen in einigen Bezirken mehr neue Plätze geschaffen werden. Und es muss in der Bildungsverwaltung mehr vorausschauend geplant werden, denn die Kinder kommen dann auch bald zur Schule.

Lars Sobiraj: Die Piratenpartei wirbt in ihrem Programm für die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens. Wie stehen die Berliner Linken zu diesem Thema? Manchen Bürgern mag dies wie ein Freifahrtsschein auf Sozialhilfe ohne eigene Leistung vorkommen, oder?

Udo Wolf: Statt Hartz IV fordert  DIE LINKE ein am vergangenen Einkommen orientiertes Arbeitslosengeld und eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung, die Armut tatsächlich verhindert und die Bürgerrechte der Betroffenen achtet.  Dazu gehören die Abschaffung der Sanktionen, der Bedarfsgemeinschaften und die Einführung des Individualprinzips auf der Basis der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen.  Teile der LINKEN vertreten darüber hinaus das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, um das Recht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe jedes Einzelnen von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Dieses Konzept wird in der Partei im Zuge der Programm-Debatte derzeit noch kontrovers diskutiert.

Lars Sobiraj: Wie schätzen Sie die 5 Jahre junge Piratenpartei ein? Ist sie reif genug, um ins Abgeordnetenhaus einzuziehen? Welche Konsequenzen erwarten Sie, sollten die Piraten wirklich die 5%-Hürde knacken?

Udo Wolf: Die Piratenpartei hat sich mit einigen ausgewählten Themen rund ums Internet  ins Gespräch gebracht. Zu den uns wichtigen Fragen wie sozialer Zusammenhalt, Schaffung von Arbeitsplätzen, Mieten oder Integration habe ich bislang keine Äußerungen gehört.  Und wenn sie die 5-Prozent-Hürde knacken, dann gibt es in der Konsequenz eine Fraktion im Berliner Landesparlament.

Lars Sobiraj: Wenn sich die Polizeigewerkschaften schon gegen eine Kennzeichnung ihrer Berliner Mitglieder wehrt und einzelne Polizisten deswegen vor Gericht ziehen, welche Reaktionen erwarten Sie im Fall einer unabhängigen Beschwerdestelle mit umfangreichen Befugnissen?

Udo Wolf: Auch bei der Kennzeichnungspflicht gab es nicht gerade Begeisterung. Aber wir haben uns nach einem sehr langen Diskussionsprozess mit den besseren Argumenten durchsetzen können. Ich bin froh, dass die Kennzeichnung nun endlich kommt und glaube auch, dass ein Großteil der Polizistinnen und Polizisten das weniger ideologisch sieht als die Polizeigewerkschaften. Die unabhängige Beschwerdestelle wäre nun der logische nächste Schritt. Da werden wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, nicht nur bei den Polizeigewerkschaften, sondern auch bei unserem möglichen Koalitionspartner, der SPD.

Lars Sobiraj: Sprechen wir von der Körperverletzung eines Bürgers auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“. Das Verfahren gegen die Polizisten lief zwei Jahre, sie kommen glimpflich davon, gegen den Anwalt des Verprügelten wird stattdessen wegen Beleidigung ermittelt. Was soll diese Beschwerdestelle denn am Ende bringen, wenn die Straftaten von Polizisten und Bürgern völlig unterschiedlich beurteilt und bestraft werden?

Udo Wolf:
Alle Missstände in der Justiz und der Strafverfolgung werden wir mit einer solchen Stelle natürlich nicht beseitigen können. Eine unabhängige Beschwerdestelle soll zunächst einmal die Hemmschwelle senken, solche Fälle überhaupt anzuzeigen. Viele Betroffene haben Angst, so etwas ausgerechnet bei der Polizei anzuzeigen, wo sie mit einer sofortigen Gegenanzeige wegen Widerstands oder Landfriedensbruchs rechnen müssen. Uns ist darüber hinaus wichtig, dass solch eine Stelle auch für Polizisten selbst offen ist. Viele trauen sich einfach nicht, zu ihrem Vorgesetzten zu gehen, wenn sie Missstände in ihrem näheren Umfeld beobachten. Fälle wie die Quarzsandhandschuhe bei einer Berliner Einsatzhundertschaft wären so viel schneller aufgedeckt worden. Wenn dann auch noch unabhängig ermittelt wird, wäre das ein großer Gewinn für die demokratische Kontrolle der Polizei.

Lars Sobiraj: Werden Sie auch auf der nächsten "Freiheit statt Angst" Demonstration sein? Wie stehen Sie zum Thema Vorratsdatenspeicherung? (Anmerkung: Das Interview fand bereits vor der Demo statt.)

Udo Wolf: Ich war schon bei allen Freiheit-statt-Angst-Demos dabei und werde auch in Zukunft hingehen. Gerade das Thema Vorratsdatenspeicherung zeigt, wie wichtig es ist, ein Zeichen gegen den gegenwärtigen Mainstream in der Sicherheitspolitik zu setzen. Die millionenfache anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten ist ein tiefer Eingriff in die Grundrechte, der nicht zur Kriminalitätsbekämpfung taugt. Trotzdem wollen CDU und SPD sie wiederhaben.

Lars Sobiraj: Gerade in Berlin leben viele Menschen, die nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen. Die Linke spricht sich für die Integration der Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund aus. Haben wir in manchen Stadtteilen Berlins nicht so etwas wie eine Parallelgesellschaft, die nach ganz eigenen Regeln funktioniert? Wie kann bei diesen Bedingungen die gewünschte Integration gelingen?


Udo Wolf: Ich würde nicht von Parallelgesellschaften sprechen. Richtig ist, dass viele Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund zu wenige Möglichkeiten haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Darum wollen wir neben allen Anstrengungen in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik vor allem eins: Integration als Teilhabe verstehen. Deshalb haben wir als einziges Bundesland ein Partizipations- und Integrationsgesetz, wir wollen das Staatsbürgerschaftsrecht und das Wahlrecht öffnen und modernisieren, Diskriminierung abbauen und vieles mehr. Da ist in erster Linie auch die sogenannte Mehrheitsgesellschaft gefordert.

Lars Sobiraj: Dass jede Finanzkrise auch Gewinner hat steht außer Frage. Die Verursacher der immer wieder aufflammenden Wirtschaftskrise möchten Sie „zur Kasse bitten“. Mit welcher gesetzlichen Grundlage soll dies derzeit gelingen? Wie genau sollte sich der Wähler das vorstellen?

Udo Wolf: Die Finanzkrise hat die bundesdeutschen Steuerzahler bis jetzt 335 Milliarden Euro gekostet, unter anderem für systemrelevante Banken. Mit jeder Finanzkrise sind weitere Zahlungen vorprogrammiert. Hier sagt DIE LINKE deutlich: Das darf so nicht weiter gehen. Wir brauchen eine Entkopplung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten. Unsere Bundespolitiker haben dafür eine Euro-Bank für öffentliche Anleihen und eine von den Finanzmärkten losgelöste Europäische Zentralbank vorgeschlagen. Es geht hier um die Frage der Dominanz der Politik.

Wir brauchen außerdem eine gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen. Nur wenn ein Land wie Berlin seine Einnahmeseite verbessern kann, gelingt es, den öffentlichen Haushalt zu sanieren. Und dann brauchen wir eine rechtliche Neuordnung des Bankenwesens. Das heißt: Die großen privaten Banken müssen unter gesellschaftliche Kontrolle.

Lars Sobiraj: Dann schauen wir mal, wie das in den dortigen Chefetagen ankommen würde. In der Zwischenzeit erstmal vielen Dank für die Antworten und viel Erfolg für den nächsten Sonntag!

 

Anmerkung:

Rein rechnerisch dürfte es laut den letzten Umfragen sehr knapp bis unmöglich für eine Fortsetzung von Rot-Rot werden. Langeweile kommt sowieso keine auf. Berlins Wirtschaftssenator Wolf hat auch so gut zu tun. Neben seinem Endspurt zur Wahl wären da noch die gestern frisch aufgewärmten Korruptsvorwürfe, die zeitlich passend wenige Tage vor dem Wahlsonntag erneut in die Öffentlichkeit getragen wurden. Ob eine Vorverurteilung des betroffenen Managers, ein PR-Feldzug gegen die Linken oder doch Korruption vorliegt, müssen die Richter demnächst entscheiden. Bis dahin werden die Bürgerinnen und Bürger aber schon zu ihrem "Urteil" gekommen sein.


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