Warum Berlins Linke die Geheimdienste abschaffen will
Von Christina Brüning
Nach der Wahl 2011 wurde es ruhig um die Linke. Nun ist die Partei wieder angriffslustig, wie der Fraktionschef im Interview beweist.
Seit einem Jahr gehört die Linke nicht mehr zur Landesregierung. Nach der Wahl war es ruhig um die Partei geworden. Inzwischen macht die Linke in Berlin wieder mehr von sich reden – etwa bei der Aufklärung der Pannen rund um die Neonazi-Mordserie der NSU.
Morgenpost Online: Herr Wolf, seit einem Jahr ist die Linksfraktion in der Opposition. Sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden?
Udo Wolf: Inhaltlich bin ich sehr zufrieden. Wir haben bei all unseren Schwerpunktthemen die besten Vorarbeiten geliefert. Etwa beim Thema Daseinsvorsorge: Ob Stromnetze, Zukunft der S-Bahn oder vollständigen Rückkauf der Wasserbetriebe – für alles haben wir ein ernst zu nehmendes Konzept zur Rekommunalisierung erarbeitet, das umsetzbar und finanzierbar ist. Da tut es schon ein bisschen weh zu sehen, wie die neue Regierung an allen Punkten herumdilettiert.
Morgenpost Online: Wenn Sie so betonen, inhaltlich zufrieden zu sein, womit sind Sie nicht glücklich?
Udo Wolf: Die öffentliche Wahrnehmung ist ein Problem für uns. Aber es ist klar, wenn man nach zehn Jahren Regierung in der Opposition landet, muss man viel härter arbeiten, um wieder gesehen zu werden und das Interesse verlorener Wähler zurück zu gewinnen. Und natürlich müssen wir auch die Arbeitsweise umstellen. Früher sind wir noch viel mehr gefragt worden, jetzt müssen wir uns mehr anstrengen, über eigene Multiplikatoren mit den eigenen Themen an die Öffentlichkeit zu kommen.
Morgenpost Online: Wie wollen Sie jetzt wieder Aufmerksamkeit bekommen?
Udo Wolf: Wir brauchen Geduld. Bei der Regierungskoalition folgt eine Krise der nächsten, da sind wir schon häufiger gefragt. Entscheidend sind unsere Schwerpunktthemen. Gerade der Bereich Rekommunalisierung wird den politischen Herbst in Berlin mitbestimmen. SPD und CDU haben sich eine ganze Reihe von Themen aus diesem Bereich auf die Tagesordnung gesetzt – aber immer in dieser komischen Kompromissformel: Kompromisse innerhalb der Parteien, zwischen den Parteien, dann noch einmal mit dem Senat und innerhalb des Senats noch einmal im Kompromiss zwischen Finanzsenator Nußbaum und den betroffenen Fachsenatoren. Wir werden genau hinsehen, was nach so vielen Kompromissen übrig bleibt, und die Koalition treiben.
Morgenpost Online: Der "Herbst der Entscheidungen" ist eine PR-Formel der Koalition. Sie soll illustrieren, dass Themen gelöst werden, die in Berlin jahrelang mitgeschleppt wurden. Sie haben die Koalitionsentscheidungen scharf als "heiße Luft" kritisiert, dabei haben Sie selbst unter Rot-Rot auch keine Lösungen dafür gehabt. Warum denn nicht?
Udo Wolf: Die angeblichen Koalitionsentscheidungen von Rot-Schwarz schieben die Probleme doch nur wieder vor sich her. Man kann sich in der Sache nicht einigen. Der Klassiker ist das ICC. Man stellt jetzt 200 Millionen Euro bereit, obwohl man weiß, dass die Sanierung mehr kostet. Man will einen Investor einwerben, der die Lücke schließt, hat aber keine Idee für eine künftige Nutzung, die sich auch rechnet. So eine Blockade hatten wir in der Regierung auch. Genau wie beim Thema Wasserbetriebe. Damals verlief der Konflikt zwischen Finanzsenator Nußbaum und Harald Wolf als Wirtschaftssenator. An den strategischen Differenzen sind wir gescheitert. Diese Differenzen gibt es jetzt genau spiegelverkehrt in der neuen Koalition.
Morgenpost Online: Sie wollen jetzt thematisch auch auf eine bessere Mietenpolitik setzen und auf ein Personalkonzept für die Verwaltung. Das sind alles Themen, die in Berlin jahrelang virulent waren. Wie können Sie es glaubwürdig vertreten, jetzt mit Konzepten um die Ecke zu kommen, wenn Sie zehn Jahre lang Zeit zum Handeln hatten?
Udo Wolf: Konzepte für bezahlbare Mieten hatten wir schon zu Regierungszeiten. Nur sind wir beim größeren Koalitionspartner weitgehend auf taube Ohren gestoßen. Seit 2008 haben wir deutlich gemacht, dass wir in der Mietenfrage in Berlin auf eine schwierige Situation zusteuern. Aber die SPD, allen voran Klaus Wowereit, hat immer auf einen entspannten Wohnungsmarkt verwiesen. Jetzt setzt die SPD in großen Teilen unser Konzept von damals um, nur, dass das heute auch nicht mehr ausreicht. Es ist für uns eine Lehre aus der Regierungszeit, dass wir in Kompromissen und in Differenzen unsere Positionen hätten öffentlich deutlicher machen sollen, auch wenn die Medien dann gesagt hätten, die Koalition sei zerstritten. Immer nur den Kompromiss öffentlich darzustellen, macht es schwierig, das eigene Profil zu stärken.
Morgenpost Online: Themawechsel. Wie geht es weiter mit der NSU-Affäre? Innensenator Henkel hat seinen Sonderermittler präsentiert, Sie Ihren Fragenkatalog. Und jetzt?
Udo Wolf: Der Sonderermittler interessiert mich wenig. Auf der Bundesebene haben wir einen Untersuchungsausschuss, der hat die Funktion des Sonderermittlers für alle Behörden. Wir haben natürlich ein Interesse zu schauen, was in Berlin etwa beim LKA schief gelaufen ist. Das muss Konsequenzen für die künftige Arbeit haben. Es gibt noch sehr viele offene Fragen, aus deren Beantwortung wiederum weitere Fragen entstehen werden. Außerdem müssen wir uns mit der Grundsatzfrage beschäftigen, was dieses V-Leute-Wesen eigentlich bringt. Ist es legitim, mit mehrfach vorbestraften Neonazis oder anderen Kriminellen Geschäfte zu machen, um Informationen zu bekommen, die vermutlich mit mehr Mühe auch auf anderem Wege zu bekommen sind?
Morgenpost Online: Sie sagen, Henkel habe das Parlament belogen. Wenn Sie einen so starken Vorwurf machen, warum fordern Sie keine Konsequenzen?
Udo Wolf: Ich hoffe, eine Konsequenz ist, dass er künftig nicht mehr lügt. Aber es macht keinen Sinn, den Rücktritt von jemandem zu fordern, von dem man noch die Antworten auf viele Fragen erwartet. Und Henkels Fehler hat mit dem Skandal von 2002 ursächlich nichts zu tun. Henkels Fehler ist, dass er seit dem 9. März von einem Vorgang weiß und das Parlament und den NSU-Untersuchungsausschuss nicht informiert hat, obwohl er das versprochen hatte. Und dann hat er im Parlament auf eine direkte Frage geantwortet, er sei ebenso überrascht von den Vorgängen wie alle anderen. Das war gelogen. Wir wollen jetzt wissen, wie dieses ganze Kommunikations- und Managementdesaster zustande kommen kann. Das interessiert mich mehr als die Person Henkel.
Morgenpost Online: Es gab jetzt einige Fälle, nicht nur beim Thema NSU, auch etwa bei der Funkzellenabfrage, bei denen deutlich wurde, wie wenig Einblick die politische Ebene in die Arbeit der Sicherheitsbehörden hat. Versagt da die Kontrolle?
Udo Wolf: Die Sicherheitsbehörden haben eine Reihe von Aufgaben und Befugnissen, die andere Verwaltungen nicht haben. Diese Befugnisse sind tatsächlich ausgesprochen schwer zu kontrollieren. Bei vielen Angelegenheiten, zum Beispiel Überwachungsmaßnahmen, fällt die sorgfältige Prüfung und Abwägung trotz Richtervorbehalts oft aus. Wenn es in dem Bermuda-Dreieck zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Richtern schnelle Entscheidungen gibt, kann die Politik das nicht kontrollieren. Wir erfahren erst etwas, wenn es einen Skandal gibt. Und dort, wo mit geheimdienstlichen Mitteln gearbeitet wird, hat Kontrolle überhaupt keine Chance.
Morgenpost Online: Aber ohne schnelle Entscheidungen funktioniert der Sicherheitsapparat nicht. Müssen nicht gewisse Zugeständnisse sein?
Udo Wolf: Ich möchte eine Diskussion darüber haben, ob das Prinzip "der Zweck heiligt die Mittel" im Sicherheitsbereich angewendet werden darf. Beim Beispiel Funkzellenabfrage hat die Polizei 20 Millionen Datensätze von unbescholtenen Bürgern angesammelt, am Ende gab es in zwei Fällen Fahndungserfolge. Es ist gut, dass es diese Erfolge gab und dass da Täter gefasst wurden. Aber rechtfertigt das diesen extremen Eingriff in die Grundrechte vieler? Außerdem müssen wir über die Frage reden, ob sich ein Geheimdienstapparat überhaupt noch mit rechtsstaatlichen Mitteln kontrollieren lässt. Ich würde das nach Lage der Dinge verneinen.
Morgenpost Online: Also wollen Sie alle Geheimdienste abschaffen? Innen- und Außendienste?
Udo Wolf: Ja. Da sagen dann natürlich alle, das ist naiv angesichts der großen Bedrohungen etwa durch den islamistischen Terrorismus. Aber ist es nicht viel naiver zu glauben, dass Geheimdienste, die mit solchen Figuren Geschäfte machen, den Schaden begrenzen können? Die V-Leute in der NSU-Affäre haben am Ende im Zweifel den ganzen Skandal eher größer gemacht und mehr Schaden angerichtet. Die Debatte um die NSU-Mordserie wird in dieser Frage nach dem Sinn der Geheimdienste gipfeln.
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