Wohnraum ist für Linke-Fraktionschef Wolf ein Menschenrecht
Berlin. Der Senat hat mit seiner Ankündigung, die Mieten für fünf Jahre einfrieren zu lassen, bundesweit Aufsehen erregt. Mehrere Immobilienbesitzer haben bereits Klage angekündigt, sollte ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten. Der Vorsitzende der Linken, Udo Wolf, erklärt im Interview mit der Berliner Morgenpost, warum der Mietendeckel aus seiner Sicht der richtige Weg ist.
MORGENPOST: Herr Wolf, der Mietendeckel bewegt und erregt ganz Berlin und sogar Deutschland. Spaltet der Streit darüber die Gesellschaft?
Udo Wolf: Die Schere zwischen Arm und Reich spaltet die Gesellschaft. Der Streit um den Mietendeckel ist die notwendige Debatte darüber, was der Markt leisten kann und was nicht, insbesondere bei der Frage der Wohnraumversorgung. Die ist nach unserer Auffassung ein Menschenrecht. Alle Menschen brauchen eine Wohnung, deswegen ist das kein Markt wie jeder andere, sondern muss vernünftig geregelt werden, wenn die Gefahr besteht, dass sich Menschen keinen bezahlbaren Wohnraum mehr leisten können.
Es gibt harten Widerstand dagegen, weil der geplante Mietendeckel massiv in die Eigentumsrechte eingreift...
Im Prinzip ist das so etwas wie eine Mietpreisbindung. Es ist kein historisch einmaliger Vorgang, den wir machen. Das Ausmaß ist etwas größer und bedeutender als die Mietpreisbindung zu West-Berliner Zeiten. Wenn Wohnraum zu teuer wird, dann muss der Staat sehen, wie er eingreift. Wir versuchen das mit verschiedenen Instrumenten. Der Mietendeckel ist jetzt die Ultima Ratio, nachdem alle anderen Maßnahmen nicht den notwendigen Effekt erzielt haben.
Es geht tatsächlich ans Eingemachte, Grundrechte sind betroffen. Ist der Mietendeckel am Ende eine bewusste Provokation, um auf den Notstand, der nicht nur in Berlin herrscht, aufmerksam zu machen?
Es ist keine Provokation, aber ich sage klar: Es ist eine Notwehraktion. In dem Maß, in dem die grundrechtlich verbürgte Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht mehr berücksichtigt wird, insbesondere durch die börsennotierten Unternehmen, die anfangen, auf steigende Mieteinnahmen zu spekulieren, müssen wir sehen, wie wir die Sozialpflichtigkeit durchsetzen. Es ist sinnvoll, dass bundesweit darüber diskutiert wird. Es geht um Grundsätzliches. Hans-Jochen Vogel, der unverdächtig ist, ein ganz linker Sozialdemokrat zu sein, hat eine Diskussion über die Bodenpolitik angestoßen und gesagt, es kann nicht sein, dass international mit Boden spekuliert wird, weil das zu Lasten der Gesellschaft geht.
Es geht Ihnen vor allem um die großen börsennotierten Unternehmen, trifft aber alle Hausbesitzer, auch die kleinen, die ihre Mieter gut behandeln. Ist es wirklich nötig, diese Besitzer auch zu treffen?
Die Eckpunkte des Mietendeckels versuchen ja, eine Differenzierung vorzunehmen. Wir haben eine klare Härtefallregelung, die gerade denjenigen hilft, die ökonomisch unter Druck geraten könnten. Wir haben obendrein eine Regelung drin, wonach Modernisierungen möglich sind und auch Mietsteigerungen – aber eben begrenzt und reguliert. Nach allem, was wir bislang überblicken, auch bei den Genossenschaften und Gemeinwohl orientierten Gesellschaften, ist keine ökonomische Schieflage zu befürchten.
Sie betreten mit dem Mietendeckel juristisches Neuland, sehen Sie denn selbst Knackpunkte, die gegen eine solche Regelung sprechen?
Wir werden uns im Gesetzgebungsverfahren sehr genau ansehen müssen, an welchen Stellen wir die Härtefallregelung noch präzisieren, damit gemeinwohlorientierte Anbieter und Genossenschaften nicht in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Das Gesetz muss sehr genau und präzise formuliert sein, weil klar ist, dass es mehrfach von der Immobilienlobby beklagt werden wird.
Sehen Sie die Gefahr, dass gerade die kleinen Vermieter am Ende womöglich sagen: das ist mir zu viel Aufwand, ich verkaufe jetzt meistbietend und dadurch der genau gegenteilige Effekt eintritt, den Sie erreichen wollen?
Wenn die Leute sich das in Ruhe ansehen und es sich tatsächlich um Vermieter handelt, die bisher mit Augenmaß mit ihrem Eigentum umgegangen sind, werden sie sehen, dass es sie nicht hart treffen wird. Wenn sie sich dann trotzdem dazu entscheiden, zu verkaufen, dann bitte an die Stadt.
Ist es am Ende ein Experiment auf dem Rücken der Mieter?
Nein, auf keinen Fall. Die Mieter bekommen mit dem Mietendeckel den Schutz, den sie brauchen. Die Diskussion zeigt ja, dass wir nicht die einzigen sind, die darüber nachdenken, welche Notwehrmechanismen wir brauchen, damit der Mietenmarkt sich wieder entspannt.
Ersetzt der Mietendeckel das Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen?
Das sind zwei verschiedene Sachverhalte. Bei den großen börsennotierten Unternehmen geht es ja um ein besonderes Geschäftsmodell. Sie versuchen, Wohnungsbestände aufzukaufen und dann via Modernisierung auf Mietsteigerungen zu spekulieren. Das können wir auch durch den Mietendeckel nur begrenzt verhindern. Wir können das Geschäftsmodell aber unattraktiver machen. Grundsätzlich lautet die Frage aber: Wie bekommen wir perspektivisch wieder mehr Wohnungen in den öffentlichen Besitz, damit wir regulierend eingreifen können?
Insgesamt besteht der Eindruck, es läuft nicht rund im Senat. Sind mit dem Haushalt die Gemeinsamkeiten von Rot-Rot-Grün aufgebraucht?
Nein. Der Eindruck, dass es nicht ganz rund läuft, hat damit zu tun, dass sich angesichts der abgeschlagenen Opposition mancher in der Dreier-Konstellation dazu berufen fühlt, eine Auseinandersetzung leichter zu eskalieren, als nötig wäre. Im Haushalt haben wir jetzt die üblichen kleinen Baustellen zu bearbeiten. Auf Senatsebene haben wir über das Problem gesprochen, wie wir vor dem Hintergrund der Schuldenbremse mit künftigen Überschüssen umgehen. Das war eine eher technische Auseinandersetzung, aber ich glaube, kein ernsthafter Konflikt.
Der Senat hat das Jahrzehnt der Investitionen ausgerufen. Aber schon jetzt kann nicht alles Geld ausgegeben werden. Sind da nicht schon die Überschüsse für den nächsten Doppelhaushalt enthalten?
Wir haben in der ersten Hälfte der Legislaturperiode in der Tat ein Problem gehabt, alle Investitionsmittel auch auszugeben. Das lag daran, dass wir nicht so schnell Personal einstellen konnten, wie wir wollten. Nach anderthalb Jahrzehnten der Konsolidierung war das ein ziemlicher Kraftakt. Insbesondere bei den Bau-Investitionen haben wir Kapazitätsprobleme. Aber jetzt wird mehr gebaut als in den vergangenen 20 Jahren.
Am Konsolidierungskurs waren Sie ja nicht ganz unbeteiligt. Haben Sie damals Fehler gemacht?
Natürlich. Insbesondere wir als Linke haben analysiert, an welchen Stellen wir Fehler begangen haben. Vom Grundsatz her war die Konsolidierung notwendig. Aber mit welcher Schärfe wir das Ziel verfolgten, einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen – da sind wir an vielen Stellen über das Ziel hinaus geschossen. Man muss aber auch wissen, dass wir damals von der Opposition durch das Verfassungsgericht gezwungen wurden, noch viel härter zu sparen. Das ist uns eine Lehre für die Zukunft.
Zurück ins hier und jetzt. Ganz aktuell gibt es Streit im Senat über die personelle Aufstockung des Verfassungsschutzes. Sie und die Grünen sind dagegen. Warum?
Wir hatten schon in die Koalitionsverhandlungen eine intensive Auseinandersetzung um die Zukunft des Verfassungsschutzes, vor allem vor dem Hintergrund des NSU-Skandals. Die Grünen und wir sind der Auffassung, dass der Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus eher zur Verschärfung des Problems beigetragen hat als zur Lösung.
Warum?
Weil er über V-Leute Menschen im Rechtsextremismus eher angefüttert und dann mit Verweis auf den Quellenschutz bei der Aufklärung von Skandalen eher gedeckelt hat. Deshalb sind wir der Auffassung, dass es bei rechten oder islamistischen Terror besser ist, mit vernünftiger klassischer Polizeiarbeit zu ermitteln und nicht mit geheimdienstlichen Mitteln. Es ist mir ein Rätsel, wie man im 30. Jahr der friedlichen Revolution glauben kann, Geheimdienste würden irgendetwas Sinnvolles zur Aufklärung beitragen. Da sollte man noch einmal die Lehren der Geschichte ansehen.
Aber ist deswegen gleich die Abschaffung des Verfassungsschutzes nötig?
Geheimdienste sind nicht demokratisch kontrollierbar und neigen dazu, sich zu verselbstständigen. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen gesagt, wenn wir den Verfassungsschutz schon nicht abschaffen, dann wollen wir ihn auf die Kernaufgaben beschränken und eine Evaluierung seiner bisherigen Tätigkeit. Die hat bislang nicht stattgefunden, stattdessen sind wir mit neuen Skandalen und Skandälchen konfrontiert, wie wir im Amri-Untersuchungsausschuss sehen. Da hat sich der Verfassungsschutz nicht mit Ruhm bekleckert, genauso wie bei der Anschlagserie rechter Täter in Neukölln.
Wären vor diesem Hintergrund und der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten nicht mehr Einsatzkräfte nötig?
Es mangelt ja nicht an Kräften. Sie haben ja mehr als gut ist für eine demokratische Gesellschaft. Die spannende Geschichte von NSU, über islamistischen Terrorismus bis hin zur Neuköllner Anschlagserie hat gezeigt: der Verfassungsschutz hatte genügend Informationen und war dicht dran. Beim Lübcke-Mord handelt es sich mutmaßlich um einen Täter, der seit Jahren in der von V-Leuten durchsetzten rechtsextremen Szene aktiv war. Ich wäre nicht überrascht, wenn wie beim NSU und dem rechtsextremen Hannibal-Netzwerk die Sicherheitsbehörden zwar nahe genug dran waren, aber nichts unternahmen, weil der Quellenschutz wichtiger war, als die Verhinderung von Straftaten.
Sie werfen dem Verfassungsschutz vor, auf dem rechten Auge blind zu sein?
Nein! Sie sind nicht blind, sondern Teil des Problems, weil sie mit V-Leuten zusammenarbeiten und sie im Zweifel vor der Enttarnung schützen. Das ist nicht Blindheit, das ist viel gefährlicher. In Berlin müsste man erst einmal klären, wen man wegen NSU, Amri oder Neukölln rausschmeißen müsste.
Insgesamt nehmen Drohungen von rechts gegen Politiker zu. Spüren Sie das am eigenen Leib?
Ich persönlich nicht, aber meine Kolleginnen und Kollegen bekommen regelmäßig Drohungen.
Berliner Morgenpost, Berlin, 15.7.2019